Die Ehre des Ritters (German Edition)
streckten sich wie Finger aus der Mitte der Wunde in alle Richtungen. Unerbittlich kroch das Gift unter ihre milchige Haut. Das Licht in der Höhle war zu schwach, um sicher sagen zu können, wie weit die Vergiftung schon vorangeschritten war. Er betete darum, dass es nicht so schlimm war, wie er befürchtete, während er Isabel behutsam in seine Arme nahm und aufstand. Der Mantel, in den sie gehüllt war, schleifte hinter ihm über den Erdboden und durch das gefallene Laub, als er sich unter dem niedrigen, mit Efeu überzogenen Felsen hindurchbückte und in das fahle Licht des neuen Morgens trat.
Die Morgendämmerung erwies sich als ebenso grausam wie ehrlich. Im rosa Schein des herbstlichen Sonnenaufgangs glühte Isabels Wunde bedrohlich tiefrot auf ihrer Schulter. Wie die Zacken vieler kleiner Sterne zogen sich die roten Fäden zu ihrer Brust und über ihren Unterarm hin. Er glaubte, die Entzündung unter seinen Augen fortschreiten zu sehen. Beim Allmächtigen, er hätte es wissen müssen. Er hatte den Wein zu spät aufgetragen, zu spät hatte er die Verletzung gereinigt. Er blickte auf die schwärende Wunde hinunter und verfluchte sich, weil Isabel seinetwillen litt. Er hatte ihr versprochen, sich um sie zu kümmern, hatte geschworen, dass es ihr gut gehen würde.
Himmel, sie hatte ihm vertraut. Er durfte sie nicht im Stich lassen, er musste alles irgendwie wieder in Ordnung bringen. Er musste ihr Fieber senken, bevor sie ihm völlig entglitt, musste einen Weg finden, ihren erhitzten Körper zu kühlen.
Er trug Isabel durch das Unterholz auf den rauschenden Bach zu, die sanft abfallende Uferböschung hinunter. Immer wieder drohten ihm die Stiefel auf dem schlammigen Erdboden und den taufeuchten Felsen wegzurutschen, doch schließlich erreichte er das Ufer des Baches und watete hinein. Das eiskalte Wasser durchnässte seine Hose und Stiefel, kroch hoch bis zu seiner Hüfte und ließ ihn bis ins Mark hinein frieren. Isabel auf einem Arm haltend und von der tosenden Strömung umspielt, besprenkelte er ihre Stirn mit Wasser.
Seine Zähne klapperten, und seine Glieder fühlten sich taub an, doch er merkte es kaum. Immer wieder schöpfte er mit der Hand Wasser über sie, um das Fieber zu senken, betete inständig, es würde helfen, und sie würde aufwachen. O Gott, noch nie hatte er sich derart hilflos gefühlt, derart unfähig. Er wusste nicht, was er tun sollte oder wohin er sie bringen konnte. Er war allein mit ihr in diesen Wäldern, allein mit der Verantwortung, für ihre Genesung zu sorgen. Er konnte es nicht riskieren, sie in das nächste Dorf zu bringen, denn ihre Festnahme wäre unausweichlich, sobald sie sich auf offener Straße zeigten. Ihre Verbündeten – und auch ihre Möglichkeiten – waren zuvor schon spärlich gesät gewesen und schwanden nun umso rascher, seit das Kopfgeld zu solch immensen Höhen angestiegen war.
Es gab niemanden, an den sie sich wenden konnten, keinen Ort, an den sie gehen konnten.
Und so machte sich Griffin auf den Weg, knietief im eiskalten Wasser des Baches. Bei jedem Schritt drückte das Gewicht der Strömung gegen ihn, erschwerte ihm das Vorwärtskommen. Mühsam schleppte er sich voran. Sonnenlicht fiel durch die Baumkronen, tanzte glitzernd auf der Oberfläche des Baches, die wie Kristall zerbarst, als er sie durchschritt. Hoch über ihm im Geäst beschwerte sich ein Schwarm Stare lauthals über sein Eindringen und flog davon. Irgendwo in der Ferne erhoben sich leise Stimmen zu einem traurigen Gesang.
Die Stimmen von Mönchen, dachte er bei sich, die lateinische Gebete angestimmt hatten.
Die vage vertrauten, schwermütigen Töne drangen ihm schwach ins Ohr und zogen ihn, wie ein Leuchtfeuer im Sturm, unwillkürlich in die Richtung des Gesangs. Er watete aus dem Wasser und stapfte die Uferböschung hinauf. Seine Füße bahnten sich den Weg durch Laub und Kiefernnadeln, die einem Teppich gleich den lehmigen Boden bedeckten. Sein Atem kam schnaufend aus seinen angestrengten Lungen und hing wie Nebel in der kalten Waldluft. Vor ihm wies nichts darauf hin, dass er seinem Ziel, dem Kloster, näher kam. Allein seine Ohren leiteten ihn durch das Stechginster- und Brombeergestrüpp, das sich in seine Stiefel krallte und Isabels hinterherflatternden, nassen Mantel zerriss. Er durchquerte eine felsige Senke und dann noch eine. In seiner Eile und Panik mehr stolpernd als schreitend zwang er seine Beine unerbittlich weiterzugehen, flehte Isabel an, durchzuhalten, sagte ihr, dass
Weitere Kostenlose Bücher