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Die ehrenwerten Diebe

Die ehrenwerten Diebe

Titel: Die ehrenwerten Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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präsentierte die konfiszierte Flasche: »Ist das Ihr Himbeergeist, Herr Professor?«
    »Hoffentlich sind Sie nicht vom Blauen Kreuz«, spottete er. »Ich muß zugeben, daß ich die Sauerstoffvergiftung am Golfplatz ab und zu mit einem Schluck bekämpfe.«
    »Er hätte tödlich sein können«, antwortete ich.
    Professor Timmermann begriff rasch. Er blieb ruhig, aber es schien mir, als hätte die Angst einen zusätzlichen Riß in sein zerklüftetes Gesicht gefügt.
    Er stand auf und ging in der riesigen Wohnhalle auf und ab.
    »Na, schön«, begann er. »Ich trau' diesen Burschen ja alles zu.« Er blieb stehen, betrachtete mich starr, überwand einen letzten Widerstand. »Ich spreche von den DILLER-Werken.« Er zündete sich eine Zigarre an. Nur die schnellen Paffwölkchen ließen auf seine Erregung schließen. »Sie sind kleiner als wir, aber auf dem Markt konkurrieren sie lebhaft mit uns. Ich bin nun einmal der Meinung, daß man die Konkurrenz an die Wand drückt, statt sich mit ihr zu arrangieren, zumal wenn sie mit allen Mitteln arbeitet …«
    »Mit welchen, zum Beispiel?« unterbrach ich ihn.
    »Nehmen wir den Fall Gerngroß. Der Mann ist vielleicht nicht ganz so tüchtig, wie er glaubt – übrigens macht er seinem Namen Ehre –, aber wir stellten ihm alle Mittel zur Verfügung, und so arbeitete er maßgeblich an unserem neuen RDK-Projekt. Was soll ich lange darum herumreden? Es handelt sich um die Drei-Monats-Pille, die wir gerade im Versuch erproben.«
    »Und?«
    »Der Mann war zehn Jahre bei uns. Mit Spitzengehalt. Er ist vom alten Diller auf unsaubere Art abgeworben worden.«
    »Legal?«
    »Was heißt schon legal?« tobte Timmermann. »Dr. Gerngroß war ein Geheimnisträger, und wer ihn einkauft, schaut in unsere Töpfe.«
    Der Unternehmer berührte ein heißes Eisen. Natürlich kann keine Firma darauf verzichten, Marktforschung zu betreiben. Der Mann auf der Kommandobrücke muß wissen, was die Konkurrenz plant, welche neuen Artikel sie auf den Markt bringt, wie hoch ihr Umsatz und wie hoch der Gewinn ist und wie groß die Rücklagen sind. Damit befindet sich ein Tycoon bereits im legalen Vorraum verbotener Ausspähung. Einer der beliebtesten Tricks ist dabei, wichtige Persönlichkeiten vom Marktkonkurrenten abzuwerben. Dagegen läßt sich nicht viel vorbringen. Nicht selten aber sind Stellenangebote nichts anderes als kaschierte Horchposten, und die Personalchefs lassen den Bewerber einfach fallen, wenn sie erfahren, worauf es ihnen angekommen war.
    Schön oder nicht schön: Kein Wirtschaftssystem ist perfekt. Und unsere Marktordnung ist immerhin noch die beste aller schlechten Lösungen. Und bleibt so lange die beste, wie es keine bessere gibt. Noch niemand hat sie gefunden. Gerade der Osten, der die freie Marktwirtschaft unterlaufen möchte, entsendet die meisten Agenten in die westliche Industrie, um ihre Geheimnisse auszuforschen und nachzuahmen.
    »Bringen die DILLER-Werke nun ihr RDK-Präparat auf den Markt?« fragte ich den Professor.
    »Das weiß ich nicht«, antwortete er, »aber ich weiß, daß mich diese Leute mit allen Mitteln zu einer Fusion zwingen wollen. Wenn ich nicht wäre …« Er sah unwillig zur Tür.
    »Entschuldigen Sie, Herr Professor«, sagte der Butler und servierte ihm auf einem Tablett einen Eilbrief wie ein Sandwich.
    Der Hausherr hielt den Umschlag einen Moment unschlüssig in der Hand.
    »Was hätten die DILLER-Werke davon, wenn man Sie – so oder so – ausschalten würde?«
    »Genau, was sie wollen – eine Fusion.«
    Er öffnete den Brief.
    Einen Moment lang sah es so aus, als wollte er ihn verstecken.
    Unsere Blicke begegneten sich.
    Er warf mir widerwillig das Schreiben zu.
    Es bestand nur aus wenigen Worten: F USION ODER T OD . L ETZTE WARNUNG!
    Sie waren aus Buchstaben zusammengesetzt, ausgeschnitten und aufgeklebt aus einer Zeitung; seltsam verschnörkelte Lettern. Sie stammten aus einer Frankfurter Zeitung, die sich viel auf ihre Vergangenheit einbildet und als Leib- und Magenblatt der Industrie gilt.
    »Sie haben also schon öfter solche Drohbriefe erhalten?«
    »Aber das sind doch lächerliche Erpressungsversuche«, erwiderte er.
    »Der Anschlag auf Dr. Fingers auch?« schlug ich zu.
    Seine Lippen bewegten sich stumm. Seine Augen waren auf der Flucht.
    »Helfen Sie mir«, murmelte er mit Mühe.
    Er brauchte es mir nicht zweimal zu sagen.
    Wir verließen die Villa. Im Vorgarten begegneten wir einer jungen Frau. Sie hatte ein apartes Gesicht, leuchtend

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