Die ehrenwerten Diebe
blaue Augen und die schwarzen Haare zu einem strengen Madonnenscheitel geordnet. Sie musterte uns mit einem trägen Seitenblick, dann ging sie mit federnden Schritten weiter.
»Die Tochter?« fragte ich Evelyn.
»Die Frau«, entgegnete sie. »Die dritte und vermutlich letzte.«
Ich drehte mich noch einmal nach Margot Timmermann um.
»Vorsicht, Gefahr«, sagte Evelyn lachend.
Dr. Fingers ging es bedeutend besser. Er würde durchkommen. Die Polizei wußte mit dem Zwischenfall am Golfplatz wenig anzufangen, sie war dabei, ihn als Unfall mit ungeklärter Ursache in den Akten verwelken zu lassen.
Ich hatte eine prächtige Gelegenheit, den Chef der DILLER-Werke kennen zu lernen: Er war unter den Gästen meines Vortrags. Ich ließ mich mit ihm bekanntmachen. »Haben Sie ein paar Minuten Zeit für mich?« fragte ich und zog ihn in eine Ecke.
»Aber ja«, entgegnete er. »Schickt Sie der alte Nussknacker zu mir?«
Er war schon äußerlich das Gegenteil von Professor Timmermann: klein, eher rundlich. Er hatte das Gesicht eines Mannes, der sich ziemlich viel im Leben gönnt. »Dann will ich gleich zur Sache kommen«, fuhr er fort. »Der PHARMA-Konzern und meine Firma – ein Familienbetrieb – verplempern Zeit, Geld und Nerven in einem idiotischen Konkurrenzkampf. Dabei würden wir uns prächtig ergänzen. So schlau bin nicht nur ich, das wissen zumindest drei Herren im PHARMA-Vorstand. Das dämmert sogar Timmermanns Aufsichtsrat – aber der alte Nussknacker schießt quer. Wissen Sie, so ein Patriarch, der von moderner Unternehmensführung überhaupt nichts versteht.«
»Aber im Jahr über eine Milliarde Umsatz macht.«
»Wir könnten zusammen zwei Milliarden machen«, erwiderte mein Gesprächspartner. »Und wir werden es auch. Entweder gibt Timmermann nach, oder …«
»Sind Ihre Bedingungen vielleicht zu hoch?«
»Keineswegs. Der Preis ist noch gar nicht ausgereizt.«
»Werden Sie das RDK-Präparat herausbringen?«
»Später schon«, antwortete er überzeugt, »unter gemeinsamem Firmenmantel.«
»Warum haben Sie Dr. Gerngroß abgeworben?«
»Sein Zehn-Jahres-Vertrag war abgelaufen. Er wollte zu uns, und wir konnten ihn gut gebrauchen«, versetzte Georg Diller. »Wenn Sie wollen, können Sie morgen mit ihm sprechen. Viel Freude werden Sie nicht an ihm haben.«
Seine Worte klangen überzeugend und offen. Diller war ein harter Geschäftsmann und gewiß nicht zimperlich in der Wahl seiner Methoden. Die Frage war nur, wie weit sie gingen.
Ich horchte ein wenig herum, und fast alle Gesprächspartner gaben Diller recht. Aber sprach das nicht gegen ihn? Würde man den Professor und seinen Trabanten Dr. Fingers wie auch immer ausschalten, dann stünde Diller am Ziel. Damit hätte womöglich der kleinere Fisch den größeren verschlungen.
Dr. Gerngroß, der abgeworbene Chemiker, den ich am nächsten Tag im Labor aufsuchte, war so zugeknöpft wie sein weißer Kittel.
Ich kam nicht unvorbereitet. Ich hatte mich über ihn erkundigt und wußte, daß er Chemiker war und sonst nichts auf der Welt.
»Warum haben Sie beim PHARMA-Konzern gekündigt?« fragte ich ihn ohne Umweg.
»Meine Sache.«
»Geld?«
»Genau das Doppelte, wenn Sie es wissen wollen«, fuhr mich Dr. Gerngroß an.
»Aber Sie machen sich doch gar nichts aus Geld«, entgegnete ich.
Der alte Diller betrat das Labor, begrüßte mich mit einem Kopfnicken. »Ach, nein«, sagte er. Seine wässrigen Augen blinzelten. »Timmermanns Fünfte Kolonne am Werk!« Er ließ sich lachend auf einen Stuhl fallen. »Na, dann reden Sie sich schon Ihren Ärger von der Seele, Gerngroß!« forderte er seinen Chefchemiker auf.
Es war eine Blitzkanonade von einer Minute.
Sie begann zunächst damit, daß der Chef der PHARMA-Werke ein Ekel sei, ein Tyrann, ein Mann, der keinen Widerspruch vertragen könne. Dr. Gerngroß hätte unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist seinen Arbeitsplatz gewechselt. In erster Linie, weil ihn Diller sofort an seinen Patenten beteiligte, während sie beim PHARMA-Konzern auf unerbittliches Betreiben des Hausherrn ausschließlich der Firma gehörten.
»Halten Sie das für gerecht?« konterte ich. »Haben Sie zufällig den Schnaps Ihres früheren Arbeitgebers mit einem Pflanzenschutzmittel vergiftet?«
Der Chemiker tippte sich an die Stirn.
»Jetzt gehen Sie aber ein bißchen weit, junger Freund«, erwiderte der alte Diller mehr belustigt als verärgert.
Ich kam nicht weiter. Wie ich die Fäden auch verknüpfte, es kam nichts
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