Die Einöder
haben…“
„Vierzig Tage fastete ich in der Wüste“, murmelte der Fremde. Er ließ sich auf einem der abgeschabten Holzstühle am Küchentisch nieder, lächelte schief und fügte hinzu: „Viel hätte wahrhaftig nicht daran gefehlt, daß ich verhungert wäre…“
Die Bauersfrau stellte die Eisenpfanne mit den gerösteten Heuschrecken auf die Tischplatte. Ein leichter, brenzliger Geruch von ankohlendem Holz mischte sich mit der strengen Ausdünstung der gebratenen Insekten und dem säuerlichen Odeur des fermentierten Wurzelbreis. Der Wanderer leckte sich gierig die Lippen und griff hastig nach dem Löffel, den ihm die Alte hinschob.
Heißhungrig begannen der Fremde und das betagte Paar zu essen; reihum tauchten sie ihre Bestecke in die Pfanne und in die Schüssel mit dem schwach vergorenen Brei: kauten und schluckten die Nahrung mit beinahe entrückten Mienen. Harsch rutschten ihnen die krossen und manchmal sperrigen Körperteile der Heuschrecken in den Schlund; zwischendurch schlangen sie den zähen, speichelhaltigen Wurzelbrei hinunter, und das Schaben und Kratzen der Löffel in Eisenpfanne und Breischüssel ging in stetem Rhythmus weiter, bis die Speisen restlos verzehrt waren.
Zuletzt seufzte die Frau wie erlöst auf und erhob sich von ihrem Stuhl, um das spärliche Geschirr abzuräumen. Der Wanderer nahm neuerlich seinen Rosenkranz zur Hand und ließ die schweren Glaskugeln klickernd durch die Finger gleiten; nach einer Weile sodann raunte er: „Und wahrlich, ich sage euch, es ist der Geist Gottes, den ich euch bringe!“
„Lästere nur“, versetzte der Einöder. „Gott ist tot und kann dich nicht hören. Aber ich lebe und will jetzt hinaus, um den Heuschreck zu fangen. Und du sollst mich begleiten, hast ja schließlich auch mit uns gegessen…“
„Wenn es dein Wille ist“, entgegnete der Fremde, „dann komme ich mit dir. Doch sobald wir zurück sind, werdet ihr begreifen, daß der Geist Gottes sehr wohl noch auf Erden wohnt! Denn ich bin gekommen, um in seinem Namen ein Wunder an euch zu wirken!“
Erschrocken zuckte die nun am Herd hantierende Alte zusammen; der Wanderer wiederum stand auf, schlang den Perlenkranz erneut um den maskenähnlichen Gegenstand am einen Ende des bombenartigen Stahlkörpers auf seinem Karren, zwinkerte danach dem Einödbauern zu und erklärte: „Ich bin bereit.“
Wenig später verließen die beiden Männer das Haus; draußen befiel den Einöder so etwas wie eine jähe Ahnung, und er wandte den Blick nach Norden in Richtung der vom Wald entblößten Felshänge des Arbermassivs. Im nächsten Moment erkannte er, daß sich dort, ein wenig seitlich des mächtigen Berggipfels, soeben eine fahlgelbe Windhose aufbaute – und gleich darauf fegte die wirbelnde, schlangenförmige Säule nach Osten hin über das geschundene Gebirgsland hinweg.
„Wenn da drüben, in Böhmen, noch einer überlebt hat, dann beutelt’s ihn jetzt!“ knurrte der Einödbauer; sodann deutete er zum ausgetrockneten Flußbett hinab und beschied seinen Begleiter: „Dort hinunter.“
Im tiefsten Talgrund des Schwarzen Regen hatte sich seit dem Vortag nichts verändert. Nur die weit herabhängenden, schweflig geränderten Wolken, die über den schmutzfarbenen Himmel trieben, wirkten heute noch bedrohlicher, und in einem der schillernden Tümpel war ein verwester Fischkadaver aufgetrieben und schwamm jetzt, von grünglänzenden Schmeißfliegen umsummt, in der ekelerregenden Algenschmiere. Zwischen diesem und dem nächstgelegenen Faulwassertümpel hatte der Einöder gestern die Heuschrecken gefangen, und es gab noch immer viele von ihnen hier – doch nachdem er ein paar Sekunden krampfhaft schluckend auf das stinkende Aas gestarrt hatte, ging der Alte weiter, und sein Gefährte im regenbogenfarbenen Umhang folgte ihm schweigend.
Ein gutes Stück entfernt, am einst grasbewachsenen Ufersaum des toten Flußbetts, ernteten die beiden Männer sodann den Heuschreck: das Manna des verwüsteten Waldgebirges. In krustigem Sand und auf ausgelaugten Geröllflecken jagten sie die großen Insekten, die in hektischen Sprüngen zu fliehen versuchten, und schneller als am Tag zuvor war der Plastikbeutel des Einödbauern gefüllt.
Als an der Flanke des Arbermassivs ein weiterer Windwirbel seinen wilden Schlangentanz begann, befanden sich die Heuschreckenjäger bereits wieder auf dem Rückweg zum Einschichthof. Und dann, im selben Augenblick, da sie das Haus erreichten, veränderte sich plötzlich etwas in der
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