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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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hatte, setzte sich auf; der Mann legte seinen Arm um ihre Schultern, und dann sättigten sie sich an der würzigen Luft, die ihnen wie ein unsagbar wertvolles Geschenk erschien.
    Nach etwa einer Minute allerdings betätigte der Fremde einen kleinen Hebel am Kopfstück des stählernen Objekts, und augenblicklich erstarb das Gasrauschen. „Was… war das? Was hast du… mit uns gemacht?“ stammelte die Alte.
    „Ich habe den Geist Gottes auf euch herniedergelenkt!“ rief der Wanderer; seine Stimme klang euphorisch wie die eines leicht und fröhlich Angetrunkenen. Übermütig schwenkte er die Maske, sodann forderte er das Paar auf: „Kommt her zu mir und kostet den Gottesgeist direkt aus seinem paradiesischen Quell!“
    Der Einöder zog seine Frau zum Karren hin. Dort jedoch machte die plötzlich verängstigt wirkende Alte eine abwehrende Geste, und deshalb hielt der Fremde die Atemmaske zuerst dem Mann vors Gesicht. Zugleich öffnete der Wanderer mit der freien Hand das Ventil an der Stahlflasche von neuem; abermals ertönte das Zischen, und jetzt sog der Einödbauer die mit Lebenskraft gesättigte Luft aus nächster Nähe ein. Schon nach zehn, zwölf tiefen Atemzügen erfüllte ihn beinahe rauschhafte Verzückung; sein hageres, ausgezehrtes Antlitz schien im Schein des Kerosinlichts rosig aufzublühen, und sein Oberkörper bewegte sich wie in sanftem, verträumtem Tanzrhythmus hin und her.
    Mit strahlenden Augen beobachtete der Fremde den Alten; schließlich, nachdem der Einöder etwa dreißigmal ein- und ausgeatmet hatte, verkündete der Wanderer im selben euphorischen Tonfall wie vorher: „Der Geist Gottes hat deinen Leib und deine Seele auf himmlische Weise gelabt und getröstet, mein Freund!“
    Daraufhin schob der Einödbauer, dessen Lungen nun gesättigt waren, die Maske von seinem Gesicht weg und antwortete mit einem Blick, der hingebungsvolle Dankbarkeit ausdrückte: „Du hast mir etwas unendlich Gutes getan!“
    „Den Gottesgeist mußt du preisen!“ erwiderte der Fremde – sodann wandte er sich der Frau zu, hielt ihr die Atemmaske hin und ermunterte sie: „Laß dich jetzt ebenfalls vom göttlichen Gnadenquell erquicken!“
    Die Alte, welche ihre Furcht noch immer nicht völlig überwunden hatte, zögerte; erst als ihr Gemahl ihr nachdrücklich zunickte, trat sie bis auf einen Schritt an den Wanderer heran und kniete vor ihm nieder.
    Geschmeichelt schmunzelte der Fremde; dann legte er der Frau die Maske an und skandierte dabei salbungsvoll und ganz in der Art eines Priesters den Satz: „Der Geist Gottes möge über dich kommen und dir seligen Frieden schenken!“
    Die Alte sog die prickelnde, so wunderbar belebende Luft ein; gleich einer Beterin kauerte sie vor dem Wanderer, und dieser berührte mit der Linken wie segnend den ergrauten Scheitel der Frau. Nach einer Reihe tiefer Atemzüge sodann veränderte sich auch das Antlitz der Alten; auch ihre Haut rötete sich, ihre ausgemergelten Wangen schienen mit einem Mal voller zu werden und sich zu verjüngen, und ihre Pupillen glänzten fast orgiastisch.
    Immer hastiger, beinahe schon manisch trank das Weib des Einöders die Lebensluft in sich hinein – plötzlich wurde die Alte von überschäumendem Lustgefühl übermannt und stieß, weil sie sich an das sakrale Geschehen in längst verwaisten Kirchen erinnerte, mit schriller Stimme hervor: „Gloria! Gloria in excelsis deo!“
    „Gloria, jawohl!“ versetzte der Fremde. Zugleich riß er der Frau die Atemmaske weg und fuhr die Alte danach in schroffem, beinahe feindseligem Ton an: „Es reicht, Weib! Denn der Geist Gottes kam nicht auf die Erde hernieder, um von dir vergeudet zu werden!“
    Während die Frau erschrocken aufsprang und zurückwich, betätigte der Wanderer das Ventil an der Stahlflasche; das Zischen verstummte – und im selben Moment schrie der Einödbauer, durch das aggressive Verhalten des Fremden erzürnt: „Was faselst du ständig vom Geist Gottes, du Idiot?! In der Metallflasche ist Sauerstoff, nichts sonst! Reine Atemluft, wie es sie hier im toten Bergland nirgendwo mehr gibt…“ Er unterbrach sich, unterdrückte seinen Ärger und fügte ruhiger hinzu: „Und nun möchte ich wissen, woher du den Sauerstoffbehälter hast?“
    Der Wanderer stülpte die schlaffe Maskenhülle über den Ventilkopf der Druckflasche und wand den Rosenkranz mit den grünen Glaskugeln eng um die Atemmaske und den Stahl. Sodann bewegte er sich mit hüpfenden, gauklerischen Schritten zum Eßtisch,

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