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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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federte hinauf und ließ sich mit übereinandergeschlagenen Beinen auf der verrußten Tischplatte nieder. Gleich einem kolibribunt verkleideten Buddha hockte er da – und eben als der Einöder seine Frage wiederholen wollte, begann draußen vor den Fenstern der Küchenstube die pechschwarze Dunkelheit zu weichen.
    Fahles Zwielicht drang in den Raum; der Fremde griff nach seiner Kerosinlampe und löschte sie, dann deutete er durch eine der Fensteröffnungen, die seitlich des Herdes gähnte, nach Süden und erklärte dem Einödbauern und dessen Weib: „Gen Mittag, in den Stromebenen des Flachlan des, stehen noch Städte. Die Donau führt noch ein Rinnsal fließenden Wassers, und dasselbe gilt für Isar und Inn; zumindest manchmal, wenn der Allmächtige sich besonders gnädig zeigt. So habe ich es sagen hören, als ich die größte der Donaustädte besuchte, die noch mehrere tausend Bewohner hat – und ebenso lernte ich dort, daß es den Auserwählten unter den Stadtmenschen möglich ist, den Gottesgeist herzustellen!“
    Der Wanderer wies auf die Stahlflasche mit dem aufgemalten Dreiecksauge und der Friedenstaube und sprach in beschwörendem Predigerton weiter: „Hier könnt ihr die Zeichen erkennen, welche die Wahrheit meiner Worte bekunden! Ich selbst habe das allsehende Auge und die weiße Taube auf dem heiligen Metall angebracht, nachdem mir die rettende Gottesgabe zuteil geworden war. Und ich erhielt das Geschenk des Allerhöchsten zum Lohn dafür, daß ich vor den Fürsten des Tieflandes gaukelte. Denn ich bin ein Narr und ein Gottsucher, und als ich in den Festsälen der Stadtherrscher den Hofnarren spielte, fand ich das Göttliche!“
    Urplötzlich wurde der Buntgekleidete von wilder Erregung gepackt; seine Nasenflügel blähten sich, er fletschte die Zähne, und die Augäpfel schienen ihm aus den Höhlen quellen zu wollen. „Ja!“ kreischte er mit dem nächsten Atemzug. „Ja, ich habe gegaukelt, um den Fürsten und ihren Vertrauten die Angst zu nehmen! Denn dies taten die Heiligen aller Zeiten, und auch Moses, Christus und Mohammed, welche die Stammväter der erlösten Völkerschaften sind, taten so! Und mir ist darob bereits im Jammertal der irdischen Welt paradiesische Belohnung zuteil geworden!“
    Abermals deutete der Fremde auf die Druckflasche; sodann fuhr er, jetzt wieder mit gedämpfterer Stimme, fort: „In der großen Donaustadt gab man den Geist Gottes in meine Obhut, und ich nahm ihn mit mir, als ich hinaus in die Wüste zog. Lange, sehr lange wanderte ich und trank tagtäglich den Odem des Allmächtigen. Doch ihr seid die ersten Menschen, denen ich begegnete, seit ich das Flachland verließ. Ich traf euch und sah euch im Schweiße eures Angesichts darben und keuchen, und in meinem Herzen erkannte ich das ganze Leid der Menschheit in euch. So erweckte eure Verzweiflung die Erinnerung an Adam und Eva in mir, die genau wie ihr äußerste Mühsal erdulden mußten, nachdem der Ewige sie aus dem Garten Eden verjagt hatte – und weil ich tiefes Mitleid mit euch verspürte, schenkte ich euch den Gottesgeist…“
    Mit den letzten Worten sank der Körper des Kolibribunten wie erschöpft in sich zusammen. Gleich darauf rutschte der Fremde schwerfällig vom Küchentisch und stand danach eine Weile stumm und mit gesenktem Haupt da. Dann auf einmal machte er eine fahrige Handbewegung in Richtung der Tür und murmelte: „Ich muß nun wieder gehen… denn vielleicht warten noch andere auf mich…“
    „Außer mir und meinem Mann lebt weit und breit niemand mehr“, versetzte die Alte. Sie warf einen gierigen Blick auf das Wägelchen mit dem Sauerstoffbehälter und fügte hinzu: „Sonst würden wir doch dort, wo früher die anderen hausten, in der Nacht Lichter sehen.“
    „Bleib bei uns!“ bat der Einöder. „Und erzähle uns mehr von den Städten im Süden und den Wundern da unten in der Donauebene.“
    „Geh selbst hin“, erwiderte der Wanderer. „Raff dich auf, und du wirst womöglich alles mit eigenen Augen sehen. Aber der Weg ist weit, und der Tod lauert auf dich bei jedem Schritt. Vielleicht krallt er nach dir, noch ehe du das Regental hinter dich gebracht hast, und dann werden die Aasfliegen auf deinem verfaulenden Fleisch tanzen. Doch vielleicht schaffst du es ja tatsächlich, eine Stadt zu erreichen – ob man dir dort aber den Geist Gottes verabreichen wird, ist sehr fraglich. Denn du bist nur ein Elender, ein Vertierter, welcher den Heuschrecken nachstellt, während ich im Gegensatz

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