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Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi

Titel: Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paolo Giordano
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kehrte Nadia zurück, in den Händen zwei mit Rotwein halb gefüllte Gläser. Sie lachte.
    »Es ist so ungewohnt. Ich hab das so lange nicht mehr erlebt«, gestand sie.

    »Schon gut«, sagte Mattia, anstatt zu sagen, dass er es noch nie erlebt hatte.
    Auf dem Sofa sitzend, nippten sie schweigend an ihrem Wein, schauten sich vorsichtig um, und wenn sich ihre Blicke hin und wieder kreuzten, lächelten sie nur scheu, wie zwei Teenager.
    Nadia hatte die angewinkelten Beine aufs Sofa gelegt, um den Raum zwischen ihnen zu verkürzen. Es war alles vorbereitet. Jetzt fehlte nur noch die Tat, ein Ruck aus dem Nichts, urplötzlich und brutal wie alle Anfänge.
    Einen Moment noch überlegte sie. Dann stellte sie ihr Glas auf dem Teppich ab, hinter dem Sofa, um nicht versehentlich mit dem Fuß dagegenzustoßen, und lehnte sich entschlossen zu Mattia vor. Sie küsste ihn. Mit den Füßen streifte sie sich die Pumps ab, die mit einem satten Geräusch zu Boden fielen, und lag jetzt schon rittlings halb auf ihm, ohne ihm die Luft zu lassen, Nein zu sagen.
    Sie nahm ihm das Glas aus der Hand und führte seine Hände zu ihren Hüften. Mattias Zunge war starr, und sie umspielte sie mit der ihren, beharrlich, um ihr die Bewegung einzuprägen, bis er das Gleiche zu tun begann, nur in die andere Richtung.
    Ein wenig unbeholfen sanken sie zu einer Seite, sodass Mattia nun unter ihr lag. Ein Bein hing vom Sofa herunter, während das andere von ihrem Gewicht festgehalten wurde. Er dachte an die Kreisbewegung seiner Zunge, an diese regelmäßige Rotation, doch bald schon verlor er die Konzentration, so als sei es Nadias Gesicht, das gegen das seine gepresst war, gelungen, das komplizierte Räderwerk seiner Gedankengänge anzuhalten. So wie einmal auch Alice.
    Seine Hände glitten unter Nadias T-Shirt. Die Berührung
mit ihrer Haut war ihm nicht unangenehm, und langsam zogen sie sich aus, ohne sich voneinander zu lösen oder die Augen zu öffnen, denn der Raum war zu hell und jedwede Unterbrechung hätte sie zum Aufhören veranlasst.
    Während er am Verschluss ihres BHs herumhantierte, dachte Mattia: Jetzt passiert es. Jetzt passiert es doch, auf eine Art und Weise, wie du dir es vorher nicht ausgemalt hättest.

35
    Früh am Morgen stand Fabio auf. Damit Alice ihn nicht hörte, schaltete er rasch den Wecker aus und verließ das Zimmer, darum bemüht, seine Frau nicht anzuschauen, die auf ihrer Seite des Bettes lag. Ein Arm ragte unter der Bettdecke hervor, während sie die Hand des anderen Armes darumgelegt hatte, so als träume sie, sich irgendwo anzuklammern.
    Aus Erschöpfung war er eingeschlafen und hatte eine Reihe von Albträumen durchlebt, die mit jedem Mal düsterer geworden waren. Nun war ihm danach, etwas mit den Händen zu tun, sich schmutzig zu machen, zu schwitzen, die Muskeln zu ermüden. Er überlegte, ob er ins Krankenhaus fahren sollte, um eine Extraschicht einzulegen, doch wie jeden zweiten Samstag würden seine Eltern zum Mittagessen kommen. Zweimal nahm er den Hörer zur Hand, um ihnen abzusagen, weil es Alice nicht gut gehe, doch dann hätten sie später zurückgerufen, um sich, fürsorglich wie sie waren, nach ihrem Befinden zu erkundigen, und er hätte wieder mit
seiner Frau diskutieren müssen, und sie hätten erneut gestritten, und alles wäre nur noch schlimmer geworden.
    In der Küche zog er sich das T-Shirt aus. Trank einen Schluck Milch aus dem Kühlschrank. Er hätte so tun können, als wäre in dieser Nacht nichts vorgefallen, hätte einfach so weitermachen können, wie er es immer getan hatte, doch tief in der Kehle spürte er einen Überdruss, der neu für ihn war. Die Haut spannte noch von den Tränen, die ihm über die Wangen gelaufen waren. Er wusch sich das Gesicht am Waschbecken und trocknete es mit dem Geschirrtuch, das daneben hing.
    Er schaute aus dem Fenster. Der Himmel war bedeckt, aber bald würde die Sonne herauskommen. So war es immer zu dieser Jahreszeit. An einem solchen Morgen hätte er mit seinem Kind Fahrrad fahren können, den Pfad am Kanal entlang und weiter zum Park. Dort hätten sie am Brunnen Wasser getrunken und sich ein wenig auf der Wiese ausgeruht, nicht länger als ein halbes Stündchen. Dann wären sie wieder zurückgefahren, nun auf der Straße. An der Konditorei hätten sie einen Augenblick haltgemacht und Kuchen für den Nachtisch gekauft.
    Er verlangte nicht viel. Nur die Normalität, die ihm doch wirklich zustand.
    Noch in Unterhosen ging er in die Garage und hob vom obersten

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