Die Einsamkeit der Primzahlen - La solitude dei numeri primi
Regal den Werkzeugkasten herunter. Dessen stattliches Gewicht kam ihm im Moment wie eine Erleichterung vor. Er suchte sich einen Schlitzschraubenzieher heraus, einen Neuner- und einen Zwölferschlüssel, und begann, sein Fahrrad, Teil für Teil, planvoll zu zerlegen.
Als Erstes verteilte er frisches Fett auf den Ritzeln. Dann polierte er den Rahmen mit einem alkoholgetränkten Lappen.
Die verkrusteten Schlammspritzer, die noch daran klebten, kratzte er mit dem Fingernagel ab. Auch zwischen den Pedalen reinigte er gründlich, ging mit dem Lappen durch alle Ritzen, die für seine Finger zu schmal waren. Er montierte die verschiedenen Teile wieder zusammen und kontrollierte die Bremszüge, stellte die Bremsbacken so ein, dass sie perfekt gleichmäßig zogen. Schließlich pumpte er beide Reifen auf und prüfte den Druck mit der Handfläche.
Er trat einen Schritt zurück, wischte sich die Hände an den Oberschenkeln ab, und als er sein Werk so betrachtete, überkam ihn ein bedrückendes Gefühl der Vergeblichkeit. Er versetzte dem Rad einen Tritt, worauf es zu Boden ging und sich dort krümmte wie ein verletztes Tier. Ein Pedal ragte auf und rotierte im Leeren, und Fabio lauschte dem hypnotisierenden Surren, bis es wieder still war.
Er hatte sich schon zur Garagentür bewegt, als er es sich noch einmal anders überlegte: Er ging zurück, hob das Rad auf und stellte es an seinen Platz. Wie unter Zwang sah er auch nach, ob nichts beschädigt war, und fragte sich, warum er es nicht schaffte, die Unordnung hinzunehmen, der Wut, die ihn überkommen hatte, freien Lauf zu lassen, zu fluchen und irgendetwas zu zertrümmern. Warum war es ihm lieber, wenn alles an seinem Platz zu sein schien, auch wenn es in Wirklichkeit gar nicht so war?
Er schaltete das Licht aus und ging wieder nach oben.
Alice saß am Küchentisch und nippte mit nachdenklicher Miene an ihrem Tee. Vor ihr war nur das Süßstoffdöschen. Sie hob den Blick und sah ihn an.
»Warum hast du mich nicht geweckt?«
Fabio zuckte mit den Achseln. Er ging zum Waschbecken und drehte den Hahn ganz auf.
»Du hast so tief geschlafen«, antwortete er.
Er gab einen Spritzer Spülmittel auf seine Hände und rieb sie fest unter dem Wasserstrahl, um den fettigen, schwarzen Dreck wegzuwaschen.
»Jetzt bin ich spät dran mit dem Mittagessen«, sagte sie.
Fabio hob die Schultern.
»Wir können das Essen auch ausfallen lassen«, sagte er.
»Das hab ich noch nie von dir gehört.«
Noch kräftiger rieb er sich die Hände.
»Ja, ich weiß. War nur so ein Gedanke.«
»Ein neuer Gedanke.«
»Ja, du hast recht. Ein Scheißgedanke«, knurrte er.
Er dreht den Hahn zu und verließ, fast eilig, die Küche. Kurz darauf hörte Alice das Wasser in der Dusche niederprasseln. Sie stellte die Tasse in die Spüle und ging zurück ins Schlafzimmer, um sich anzuziehen.
Auf Fabios Seite war das Betttuch zerknautscht, voller durch das Gewicht seines Körpers platt gedrückter Falten. Das Kissen war in der Mitte geknickt, als habe er es sich auf den Kopf gepresst, und die Decken lagen, wie mit den Füßen zusammengeschoben, am unteren Ende des Bettes. Wie jeden Morgen lag ein leichter Schweißgeruch in der Luft, und Alice machte das Fenster auf, um durchzulüften.
Die Möbel, die ihr am gestrigen Abend eine Seele zu haben schienen, einen eigenen Atem, waren nun wieder nichts weiter als ihre üblichen Schlafzimmermöbel, geruchlos wie ihre schleichende Resignation.
Sie machte die Betten, indem sie die Leintücher ordentlich ausbreitete, sie genau bei der Kopfkissenmitte, wie Sol es ihr beigebracht hatte, umschlug und die Kanten unter der Matratze feststeckte. Dann zog sie sich an. Aus dem Bad hörte
man das Summen von Fabios Rasierapparat, ein Klang, der für sie immer schon für vertrödelte Wochenendmorgen stand.
Sie fragte sich, ob der Streit letzte Nacht anders als ihre sonstigen Auseinandersetzungen war oder ob er wie üblich beigelegt wurde, indem Fabio nach dem Duschen und mit noch entblößtem Oberkörper ihre Schultern umfasste und, den Kopf auf ihr Haar gelegt, sie lange im Arm hielt, so lange, bis aller Groll verraucht war.
Gedankenversunken blickte sie auf die Gardinen, die sich in einem leichten Lufthauch blähten. Dabei überkam sie ein vages Gefühl der Verlassenheit, ähnlich dem, was sie einst in jener schneegefüllten Rinne am Hang empfunden hatte und später in Mattias Zimmer und zuletzt jedes Mal, wenn sie vor dem unberührten Bett ihrer Mutter stand. Sie führte
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