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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Malvaldi
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Sie stützen sich ausschließlich auf die Bibel? Das heißt, Sie glauben alles, was in der Bibel geschrieben steht?«
    »Sicher. Die Bibel ist das Wort Gottes.«
    »Also, alles, was in der Bibel geschrieben steht, ist wahr?«
    »Ohne Zweifel. Das Wort Gottes ist die Wahrheit.«
    »Also, erlauben Sie mir Folgendes: Sie wollen mir sagen, dass wir in den letzten Tagen der Menschheit leben, richtig?«
    »So ist es. Sehen Sie nur, zum Beispiel …«
    »Lassen Sie mich ausreden, bitte. Sie sagen mir, dass wir in den letzten Tagen leben, weil die letzten Tage in der Bibel beschrieben sind und weil alles, was in der Bibel steht, wahr ist?«
    »Genau. Wenn zum Beispiel …«
    »Leihen Sie mir mal kurz die Bibel, bitte? Da. Matthäusevangelium. Kapitel vierundzwanzig, Vers sechsunddreißig. Jesus spricht über das Kommen des Weltendes: ›Von dem Tage aber und von der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht.‹ Auch Vers vier, der sagt, dass man den Predigern des Weltendes nicht glauben soll, ist interessant: ›Seht zu, dass euch niemand in die Irre führt. Denn es werden viele unter meinem Namen kommen.‹ Das scheint mir klar zu sein. Niemand weiß, wann das Ende der Welt kommt. Und man braucht denen nicht zu glauben, die behaupten, das Ende der Welt sei nahe, auch wenn sie sich als Botschafter des Herrn ausgeben.«
    »Aber …«
    »Folglich, entschuldigt, ist das ein Widerspruch. Wenn das, was in der Bibel steht, alles wahr ist, dann seid ihr Betrüger. Tiziana, hör auf, mir gegen den Knöchel zu treten, siehst du nicht, dass ich mit diesen Herren hier spreche? Wenn aber das, was in der Bibel steht, nicht notwendigerweise wahr ist, dann seid ihr Träumer. In beiden Fällen weiß ich nicht, warum man euch zuhören sollte.«
    In der Stille, die sich ausbreitete, als jeder für sich an die Episode zurückdachte, hatte Del Tacca sich mühselig aus seinem Stuhl hochgestemmt und seine hundertzehn Kilo ins Billardzimmer zurückgeschafft. Nach einigen Sekunden, in denen die Alten sich gegenseitig ansahen, als wollten sie sagen, na gut, hier gibt’s keinen Klatsch mehr, dann gehen wir eben wieder nach hinten und spielen die Partie weiter, kehrte Del Tacca mit kleinen, schlurfenden Schrittchen unerwarteterweise zurück, eine auseinandergefaltete Zeitschrift vor sich her tragend. Mit der aufgeschlagenen Zeitschrift in der Hand ließ er besonders schwerfällig sein Hinterteil auf den Metallstuhl sinken, der sich mit einem kraftlosen Ächzen beklagte.
    Ungerührt vom Leid des armen Stühlchens, betrachtete Pilade unverwandt die Zeitschrift, bis Aldo sich endlich nicht mehr beherrschen konnte: »Pilade, die ist von vorgestern.«
    »Ich weiß. Ich bin extra deswegen nach hinten gegangen, um sie zu holen.«
    Stille. Pilade tat so etwas nur sehr selten ohne Grund, ganz besonders nicht, wenn man dafür aufstehen musste. Deshalb trat Aldo hinter Pilade und beugte sich mit einer stillen Bitte um Erklärung über die Zeitschrift. Als Antwort zeigte Pilade auf einen Punkt der Seite und dann sofort auf einen anderen, ohne die Augen von der Zeitung zu nehmen. Dann tippte er mehrfach auf die Seite. Und während er tippte, veränderte sich Aldos Gesichtsausdruck. Ein flüchtiges Aufflackern von Hoffnung, das beinahe sofort fröhlicher Ungläubigkeit Platz machte.
    »Das glaube ich nicht.«
    »Glaub’s nur, glaub’s nur«, sagte Pilade grinsend. »Hab ich recht oder nicht?«
    An dem Punkt stand auch Ampelio auf und stellte sich hinter die Zeitung, und Rimediotti verrenkte seinen mageren Geierhals, um einen Blick auf das begehrte Objekt werfen zu können. Beiden zeigte Pilade dieselben zwei Punkte.
    Während die zwei Alten versuchten, zu demselben Schluss zu kommen wie Aldo, warf Massimo das Handtuch und verließ den Tresen, um sich ebenfalls hinter der Zeitung aufzustellen. Sinnlos, jetzt noch weiter die Rolle des redlichen Bürgers zu spielen, der sich um seinen eigenen Kram kümmert. Angekommen, beugte auch er sich zu der Zeitung und den beiden Fotos vor, aus denen die zwei Details hervortraten, auf die Pilade inzwischen triumphierend deutete.
    »Da und da! Seht euch das an. Was sagst du, Massimo, hab ich recht oder nicht?«
    Massimo besah sich die beiden Fotos genauer.
    Verdammt noch mal. Du hast recht, ja.
    Auf dem ersten Foto schüttelte Stefano Carpanesi einem seiner Anhänger mit fröhlicher Miene die Hand. Er war im Profil aufgenommen, und auf dem Bild war die seltsame Form des rechten Ohrs des Kandidaten deutlich zu

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