Die Einsamkeit des Barista
ansässige Missionsstation gehen, zusammen mit einigen unserer Mitbrüder, und einen kleinen Flughafen bauen.«
»Ah.«
Massimo hätte am liebsten gefragt: »Und warum gehen Sie in ein Land, wo die Leute vor Hunger sterben, um einen Flughafen zu bauen?«, aber er wusste nicht, wie er die Frage formulieren sollte, ohne den Geistlichen zu beleidigen, dessen boxerische Entgleisungen allseits bekannt waren. Zum Glück schien der Pater keine Extraaufforderung zu benötigen.
»Ja. Malawi unterhält bilaterale Handelsbeziehungen zu Simbabwe und vor allem zu Südafrika. Wenn sie in diesen Ländern Waren kaufen oder verkaufen, zahlen sie keine Steuern. Deshalb ist es wichtig, dass man gut in diese Länder kommt, und da es, wie du dir bestimmt vorstellen kannst, in Malawi so gut wie keine Straßen gibt, wäre ein kleiner Flughafen ein Segen. Auch könnte eine kleine Gemeinde wieder aufblühen, wenn sie mit diesen Staaten Handel treiben könnte.«
»Ich verstehe.«
Dasgehtdichnichtsandasgehtdichnichtsandasgehtdichnichts …
»Und warum haben Sie sich entschlossen wegzugehen?«
Da haben wir’s. Herzlichen Glückwunsch. Der Pater trank mit einem letzten durstigen Schluck seine Coca-Cola aus, dann antwortete er mit einem Blick nach draußen: »Ich bin hier nicht mehr am richtigen Ort. Es ist etwas geschehen, das mich daran hindert, auf meinem Posten zu bleiben.«
»Ich verstehe. Entschuldigen Sie bitte, es war eine idiotische Frage.«
»Nein, Massimo. Fragen sind nie idiotisch. Schlimmstenfalls sind sie bösartig, aber in deiner lag keine Böswilligkeit. Du weißt, dass ich nicht nur weggehe, weil meine Lieben nicht mehr sind. Es würde dich überraschen, wenn es so wäre. Nein, es gibt noch einen anderen Grund, weshalb ich gehe. Es hat nichts damit zu tun, was andere getan haben, sondern mit etwas, das ich getan habe. Sag mir, glaubst du an Gott?«
»Bei alledem, was er mir bis jetzt angetan hat? Nein.«
»Und in die Kirche gehst du auch nie?«
»Ich hab Ihnen doch gerade gesagt, dass ich nicht an Gott glaube.«
Der Pater lächelte bitter.
»Das hat nicht so viel miteinander zu tun, wie du glaubst. Es kommen so viele Leute in die Kirche, die nicht mehr an Gott glauben. Und so viele Leute glauben an Gott und gehen nicht in die Kirche. Komm am Gründonnerstag in die Messe. Ich werde deine Neugier stillen. Deine und die der Leute. Aber jetzt muss ich los.«
»Kehren Sie in den Konvent zurück?«, fragte Massimo, der nicht glauben konnte, dass der Pater nur wegen einer Coca-Cola unterwegs sein sollte.
»Nein. Ich gehe aufs Kommissariat. Pace e bene, Massimo. Ich erwarte dich am Donnerstag.«
Sechs
Da haben wir’s. Ist das denn zu fassen? Ich wollte nur meine Ruhe haben, mit meinem Buch und meinem kalten Tee, in diesem einen Moment, an dem der Tag vielversprechend erschien. In diesem einen Moment, an dem ich in heiligem Frieden nur das hätte tun können, was mich angeht. Und dann kommt dieser Kuttenträger, und was macht er? Statt einfach nur friedlich seine Cola zu trinken und wieder zu gehen, sagt er mir, dass er aufs Kommissariat geht. Mussten die Brüder früher nicht mal ein Schweigegelübde ablegen?
Pater Adriano war gerade erst weg, und Massimo blickte wehmütig auf den Krimi, der auf dem Tresen lag, das Symbol eines ruhigen und friedvollen Tages, der sich soeben erledigt hatte. Sinnlos, sich da etwas vorzumachen.
Wenn es irgendetwas gab, dem Massimo nicht widerstehen konnte, dann waren es Rätsel. Wenn irgendein scheinbar unerklärlicher Umstand seine Neugier erregte, dann legte sein Gehirn los, und es gab kein Zurück mehr, der ganze Rest der Welt wurde zu einer lästigen Störung, einem Hintergrundrauschen reduziert. Der Pater hatte mit seinem letzten Satz genau diesen Prozess in Gang gesetzt. Darüber hinaus war ihm klar, dass er nicht allein bleiben würde vor dem Mysterium. Und schon waren einer nach dem anderen die vier Greise in den Raum getreten, Aldo noch mit Stock und Kreidestückchen in der Hand, auf dem Fuße gefolgt von Tiziana.
Aldo war dann auch der Erste, der das Wort ergriff: »War das Pater Adriano?«
»Als wüsstest du das nicht«, antwortete Massimo und sah unverändert durch die Glastür nach draußen. Außerdem weiß ich sowieso, dass ihr da hinten mit dem Ohr an der Wand gelegen habt. Es ist ein Fluch, gütiger Gott. Alle anderen Achtzigjährigen dieser Erde sind taub, und die einzigen vier, die noch auf einen Kilometer Entfernung eine Spinne furzen hören, muss ausgerechnet ich
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