Die Einsamkeit des Barista
eins zu nennen. Und die fuhr mit einem Fiat Punto in der Gegend herum, und dazu noch in einem von vor zehn Jahren.«
»Wie kommst du denn darauf?«
»Sieh mal«, sagte Gino und nahm die Zeitung, wo das Foto von Marina Coruccis um eine Kiefer gewickeltem Wagen abgedruckt war. »Das da ist das Auto. Das Kennzeichen fängt mit BC an. Also ist es bestenfalls von 2000.«
»Na gut, aber das ist normal«, sagte Aldo. »Reiche Leute haben oft einen Kleinwagen. Zum Beispiel, um einkaufen zu fahren.«
»Tss, Aldo, da kanntest du den Fabbricotti aber schlecht. Der war arm und ist dann reich geworden, und auf bestimmte Sachen hat der sehr viel Wert gelegt. Der hat immer zeigen wollen, dass er Kohle hat. Hat sich angezogen wie Keri Gränt. Du glaubst doch wohl nicht, dass er seine Frau einen Punto hätte kaufen lassen. Wenn seine Frau einen Kleinwagen hätte haben wollen, hätte er ihr eine Mercedes-A-Klasse gekauft, keinen Punto. Wenn ihr mich fragt, also …«
Überraschtes Schweigen. Rimediotti hatte recht. Das geschah nicht oft.
»Dieses Auto hier ist zehn Jahre alt«, sagte Ampelio nachdenklich. »Wann ist der Fabbricotti noch mal gestorben?«
»Hm, vor fünf oder sechs Jahren, maximal. Das war in dem Jahr mit den Quallen, glaube ich.«
»Also 2002«, sagte Pilade entschieden.
»Erinnerst du dich so gut daran?«
»Ja, ich erinnere mich. Die Sterbeurkunde hab ich archiviert.«
»Also dann …«
»Dann hat ihr der Fabbricotti diesen Wagen gekauft«, schloss Del Tacca bitter. »Er hat ihn gekauft, weil er im Jahr 2000 noch am Leben war.«
»Du bist mir vielleicht einer«, mischte sich Ampelio ein, liebenswürdig wie immer. »Denk mal, es gibt auch so was wie Gebrauchtwagen auf der Welt.«
»Ampelio hat recht«, sagte Aldo. »Die Corucci hätte sich den Wagen auch erst hinterher kaufen können, und zwar gebraucht. Und sie hat ihn gekauft, weil …«
»Weil sie am Ende war!«, schloss Ampelio. »Die war arm wie eine Kirchenmaus und konnte sich so einen Wagen nicht leisten. Wenn du kurz vor der Pleite stehst, kaufst du dir keinen Mercedes.«
»Also mir kommt das doch sehr seltsam vor.«
»Komm, ich erklär’s dir. Wenn …«
Siebzig Prozent der menschlichen Kommunikation ist nonverbal. Als Bill Clinton sagte: »Ich habe niemals Sex mit dieser Frau gehabt«, sagten seine Hände, die sich mit nach unten gedrehten Handflächen vom Körper entfernten: »Ich erzähle eine Lüge.« Wenn unsere Exfreundin mit fest verschränkten Armen und Beinen auf dem Sofa saß, während wir ihr erklärten, warum wir den ganzen Nachmittag das Handy ausgeschaltet hatten, dann sagte sie: »Nimm dich in acht, mein Hübscher, ich bin nicht so dumm, wie du glaubst. Ich weiß ganz genau, mit wem du zusammen warst und was du gemacht hast, und sobald du aufhörst zu reden, nagele ich dich fest.«
Als Tiziana Massimo flüchtig ansah und ihr Blick immer wieder zwischen den Alten, die weiter diskutierten, ob die Corucci nun reich oder arm gewesen war, und Massimo und sich selbst hin und her flog, sagte sie unüberhörbar: »Massimo, ich bitte dich. Ich weiß, ich habe versprochen, nichts zu sagen, aber ich weiß doch, wie die Dinge wirklich gewesen sind, ichbittedichichbittedichichbittedichlassesmichihnensagen.«
Und dann konnte Massimo Tizianas bettelndem Blick nicht mehr widerstehen.
»Tiziana erklärt euch jetzt, was passiert ist«, sagte Massimo, während er wieder hinter den Tresen zurückging.
»Tiziana?«, fragte Aldo.
»Ja. Genießt die Vorstellung, ich hab sie schon bei der Premiere gesehen.«
Zehn Minuten waren vergangen. Tiziana hatte von dem Nachmittag beim Notar erzählt und die Alten zum Schweigen gebracht, die mit hingerissen triumphierenden Gesichtern lauschten. Am Ende hatten sie ein, zwei Berechnungen zu Fabbricottis Einnahmen und Ausgaben angestellt. Sie hatten ausgerechnet, wie hoch das zu erwartende Erbe gewesen sein müsse, hatten das Leben der Verstorbenen beschrieben und kommentiert und dann das Urteil gesprochen.
Die Corucci war arm gewesen. Davon zeugten ihr Lebensstil, das günstige Auto und vor allem die ungeheure Verformung der Realität, die sich der Überzeugung verdankt. Und folglich war das Verdikt ergangen. Das Gericht hat gesprochen.
Während die Richter ihre eingebildeten Togen ablegten, um sich wieder in einfache Senatoren mit einer Schwäche fürs Billardspiel zu verwandeln, nahm Aldo die Zeitung und betrachtete sie kopfschüttelnd.
»Schon seltsam, wie das Gehirn funktioniert. Vorgestern hab
Weitere Kostenlose Bücher