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Die Einsamkeit des Barista

Die Einsamkeit des Barista

Titel: Die Einsamkeit des Barista Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marco Malvaldi
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der sich in einer Abteilung befindet, in der er nicht arbeitet, bemerkt würde. Keine Frage.
    »Andererseits hat Dottoressa Carrus zu ihrer Verteidigung Beweise dafür vorgelegt, dass das Opfer sich bereits am Morgen des Tages, an dem der Tod eingetreten ist, in einem sehr kritischen Zustand befand und in einem irreversiblen Koma lag, aus dem es aufgrund der schweren Hirnschädigungen infolge des Unfalls nur mit vernachlässigbarer Wahrscheinlichkeit wieder erwacht wäre. ›Es stimmmt schon, dass wir Ärzte einige Patienten töten‹, kommentierte Carrus lächelnd, ›aber wir tun das niemals mit Absicht. Außerdem lehrt uns die Geschichte, dass man einen toten Mann nicht ermordet. Und schon gar keine Frau, die in diesem Land noch viel weniger zählt.‹«
    Und Letzteres war die These von Partei B, die von Partei A mit dem Argument zurückgewiesen wurde, dass die Carrus ja nur zu leicht die medizinischen Berichte hätte fälschen können, die den klinischen Zustand der Patientin protokollierten.
    Für alle jene Krankhaften, die immer noch nicht genug von dieser ganzen Geschichte kriegen konnten, gab es auf der folgenden Seite noch einen Informationskasten, in dem aus medizinischer Sicht erklärt wurde, was PVS ist (Persistierender Vegetativer Status) und wie man ihn diagnostiziert. Zum Glück las Rimediotti diesen Kasten für sich allein, im Stillen.
    »Also gut«, sagte Ampelio, als die Lesung des Artikels beendet war, »jetzt ist nur noch die Frage, welcher von den beiden als Erstes nachgibt.«
    »Wie meinst du das?«, fragte Aldo.
    »Ich meine, dass keiner von den beiden so ein harter Bursche wie in amerikanischen Filmen ist. Beide sind von klein auf in Watte gepackt worden. Die haben keine Ahnung davon, was es heißt zu leiden. Ich würde sie beide ins Kittchen stecken und gucken, was passiert. Früher oder später bricht einer zusammen, wirst sehen.«
    »Hör zu, Ampelio«, mischte Aldo sich ein, »auf zwei Dinge würde ich dich gern aufmerksam machen. Erstens sind wir hier nicht in Guantánamo, sondern in Pineta. Du kannst niemanden einfach so ins Gefängnis stecken und mal zwei Jahre drin lassen, nur weil’s dir so gefällt. Zweitens bin ich zwar mit dir einer Meinung, dass der Carpanesi wohlbehütet aufgewachsen ist, aber von seiner Frau würde ich das nun wirklich nicht sagen.«
    Aldo stand auf und begann im Raum auf und ab zu gehen.
    »Die Carrus stammt aus einem Dorf in Sardinien, das ungefähr so groß ist wie diese Bar. Da hat man zwei Möglichkeiten: Als Mann wird man Schäfer. Als Frau wirst du die Frau vom Schäfer. Und jetzt ist sie Chefärztin der Neurologie. Das ist keine Frau, das ist eine Dampfwalze im Rock. Ich weiß nicht, was sie angestellt hat, um so weit zu kommen, aber du kannst dir sicher sein, dass sie, um da zu bleiben, wo sie ist, fähig wäre, dich und deine Familie auszulöschen und am selben Nachmittag noch zur Kindervorstellung zu gehen.«
    Aldos Beschreibung gab die Art und Weise, wie man die Carrus hier an der Küste im Allgemeinen sah, ziemlich gut wieder. Warum auch immer.
    Massimo hatte das Gefühl, wenn die Carrus ein Mann gewesen wäre, hätten sie alle einfach für einen Erfolgsmenschen gehalten, einer, der aus eigener Kraft etwas geworden war. Da sie nun aber eine Frau war, sahen alle in ihr mehr oder weniger einen Emporkömmling: gut und intelligent, aber mit der Moral einer verwaisten Hyäne.
    »Auf jeden Fall kommt man an den beiden nicht mehr vorbei«, fuhr Aldo fort. »Entweder war sie es, oder er war es. Ich für meinen Teil neige zu ihm. Das ist eine Frage der Wahrscheinlichkeit.«
    Massimo, der gerade die Japaner an der Kasse bediente, lachte höhnisch auf.
    »Ha, das fehlte uns gerade noch.«
    »Warum, was hab ich denn Falsches gesagt?«
    »Ihr habt doch nicht den blassesten Schimmer davon, was Wahrscheinlichkeit ist«, sagte Massimo lächelnd. »Einen Augenblick. Five with seventy. Thanks. Please, could you repeat?«
    In passablem Englisch sagte die junge Japanerin, dass sie die Hibiskusblüten in der Bar ganz wunderbar fände, und fragte, ob sie ein Foto davon machen dürfe.
    »Of course. I would be honoured of that. Please, take all the pictures you want.«
    Lächelnd zückte die Japanerin die Kamera und zielte auf die blühende Pflanze, die hinter Ampelios Rücken auf der Fensterbank stand. Nachdem sie zwei Fotos gemacht hatte, bedankte sie sich bei der gesamten Bar mit einer Reihe von Verbeugungen und ging mit ihrer vermutlichen Mamma hinaus.
    »Oh, was hat

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