Die Einsamkeit des Barista
Prodrom für das Verbrechen bildete, in Wirklichkeit Carpanesis leiblicher Sohn war.‹ Und was soll das heißen, ›Prodrom‹?«
»Ach, das ist ein eher altmodisches Synonym für ›Präludium‹. Es wird hauptsächlich in geistlichen Zusammenhängen verwendet. Präludium oder Vorgeplänkel. Oder auch Symptom. Etwas, das etwas anderem vorausgeht …«
»Aldo, wir sind auch alle zur Schule gegangen. Hältst du noch mal kurz den Mund und lässt mich weiter zuhören?«
»Die Vaterschaft wurde durch einen DNA-Test bestätigt, der den Behörden anscheinend vom Bruder des Opfers nahegelegt wurde, Pater Adriano Corucci, einem Minoriten aus dem Konvent Santa Luce. Allerdings deutet alles darauf hin, dass der Ursprung der Vaterschaft nicht einmal Carpanesis Ehefrau, Dottoressa Carrus, unbekannt war, die aus beruflichen Gründen bereits Gentests des unglücklichen Jungen durchgeführt hatte. Was Letzteren betrifft, so lassen die jüngsten wissenschaftlichen Tests keinen Raum für Zweifel: Der Unfall, bei dem der junge Mann das Leben verloren hat, war nicht vorsätzlich herbeigeführt worden, sondern einfach der überhöhten Geschwindigkeit des Fahrzeugs geschuldet, das von seiner Mutter gelenkt wurde.«
»Aber kein Wort davon, wer das alles ans Licht gebracht hat mit der Vaterschaft«, bemerkte Pilade.
»Wirklich«, antwortete Aldo. »Fusco ist zuzutrauen, dass er die ganzen Lorbeeren für sich beansprucht. Am Ende kriegt er noch einen Orden dafür.«
»Pfff, einen Orden«, prustete Ampelio. »Ich würde dem wohl auch was um den Hals hängen, dem Zwerg. Zwei Hände, zum Beispiel. Schön fest zugedrückt.«
»›Im Licht der jüngsten Beweise haben die beiden Hauptverdächtigen begonnen, sich gegenseitig in der Öffentlichkeit zu beschuldigen, jeweils die besten Motive gehabt zu haben, um das Opfer aus dem Weg zu räumen. Carpanesi wird darüber hinaus nicht müde zu betonen, dass seine Frau die Möglichkeit gehabt habe, das Verbrechen zu begehen.‹ Also, das muss man sich mal vorstellen.«
»Mamma mia, was für ein Kerl. So dreist muss man erst mal sein.«
»Na ja, kommt darauf an. Wenn’s nach mir geht, hat er ja nicht ganz unrecht. Wenn sie ihn wegen Mordes anklagen, und er hat Grund zur Annahme, dass seine Frau es war, dann verstehe ich nicht, warum er den Mund halten sollte.«
In der Bar hatten sich inzwischen drei Parteien gebildet. Bei Partei A (»Freiheit für Carpanesi«) hatten sich Aldo und Pilade eingeschrieben, die von der Schuld der Dottoressa Carrus überzeugt waren. Zur Partei B (»Carpanesi ins Kittchen und den Schlüssel in den Vulkan«) gehörten Rimediotti, Ampelio und Tiziana, allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Was Partei C betraf (»Carpanesi interessiert mich einen Dreck«), so zählte sie allein Massimo zu ihren Unterstützern, und nicht einmal der war allzu überzeugt.
Aber sieh mal einer an. Jetzt gehen sie schon so gut wie gar nicht mehr ins Billardzimmer. Sie kommen herein, schlagen die Zeitung auf und fangen an, über das Verbrechen zu diskutieren. Hier natürlich. Und wenn jemand reinkommt, fängt er sich gleich einen Vortrag zum Thema ein. Inzwischen kommt schon gar niemand mehr morgens, abgesehen von den Japanern, die sowieso kein Wort verstehen. Wie heiter die immer sind, die Japaner. Das muss was mit der Kultur um die verstorbenen Vorfahren zu tun haben. Ich weiß jetzt, wie das funktioniert: Sie beten nicht direkt zu den Ahnen, sondern danken dem Himmel dafür, dass er sie ihnen vom Hals geschafft hat. Das ist der Grund, warum sie so friedlich sind.
»Carpanesi zufolge wäre es für seine Frau in der Tat ein Leichtes gewesen, Corucci aus dem Weg zu räumen, da sie zum Todeszeitpunkt des Opfers unter anderem gerade Dienst in ihrer eigenen Abteilung hatte. Nichts leichter, theoretisch, als für einen Augenblick die Station zu verlassen und unbemerkt in das Zimmer des Opfers einzudringen. Darüber hinaus hat sich Carpanesi, wie gestern bereits berichtet, nur zu einem kurzen Besuch ans Krankenbett des Opfers begeben, was nach Ansicht seiner Anwälte nicht mit der Dynamik des Mordes zu vereinbaren ist, da dessen Vorbereitung und Durchführung für einen medizinisch unerfahrenen Laien einen nicht unerheblichen Zeitaufwand bedeutet hätte.«
Und das war die Argumentation, auf die sich das Programm von Partei A stützte, die jedoch von Partei B mit dem Argument niedergeschlagen wurde, dass die Ärzte einer Abteilung sich untereinander sehr gut kennen und folglich ein Arzt,
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