Die Einsamkeit des Chamäleons
unheilbaren Sexseuche vorgedrungen. Ja, es sei wahr. Stefan Rehbauer habe AIDS.
Da unwissende Menschen dazu neigten, den Fachmann zu spielen, waren Stefan Rehbauers Tage in Marzahn gezählt. Ihrer Mutter hätte Rebekka den Gang in die Poliklinik gern erspart, andererseits hatte ihre Mutter ihr diesen Typen nicht erspart, und so spürte Rebekka eine seltsame Art von Genugtuung.
Kapitel 11
Einen Termin hatte sie völlig vergessen und nur noch wenige Minuten Zeit. Die Otto-Recherche lenkte sie doch mehr ab, als sie es gewohnt war, und der Nachmittag in Marzahn war nicht geplant gewesen. Nun wartete Herr Ziervogel in der Neuenhagener Sparkassenfiliale auf Rebekka, und sie musste sich sputen. Einmal mehr wollte ihr sommersprossiger Finanzberater herausfinden, was sich im Sinne der Bank aus ihrem Guthaben machen lieÃe, denn Rebekka hatte kein Geld: Sie hatte ein Vermögen.
»Sie sind ja schwerer zu erreichen als der Papst!«
»Ja? Wann hatten Sie den denn zum letzten Mal hier sitzen?«
Herr Ziervogel lächelte süÃlich.
Den netten Einladungen einmal im Jahr zum Kundengespräch auf der Sparkasse kam Rebekka gerne nach. Es gab Kaffee und Kekse in dem kleinen, lediglich von ein paar Rentnern und zugezogenen Hausbesitzern frequentierten Raum, in dem es immer stickig roch und aussah, als würde dort noch mit DDR-Mark gehandelt.
»Aber Sie haben recht. Wahrscheinlich reise ich noch mehr als der Papst. Was haben Sie für mich?«
Konten der GröÃenordnung Rebekkas wurden von ihren Besitzern gern steuersparend ins Ausland verlegt. Für ihr Geld jedoch, das sie sich nicht mal selbst erarbeitet hatte, genügte Rebekka ein Tagesgeldkonto mit Kreditkarten, Onlinebanking und einem Prozent Zinsen. Nicht für ihr Geld arbeiten zu müssen, keiner Verpflichtung nachkommen zu müssen, kein Kind und keinen Mann ertragen zu müssen, waren für Rebekka der Inbegriff von Freiheit.
»Ãber Immobilien wollte ich mit Ihnen reden.«
»Finden Sie, ich tue zu wenig für meine Altersvorsorge?«
Herrn Ziervogels Lächeln wich einem anzüglichen Grinsen.
»Sie wissen nicht, was für Zeiten auf uns zukommen. Hätten Sie Ihr Geld bei einer anderen Bank gehabt, hätte es die Krise auffressen können.«
Was haben die 19 Toten in der Recyclingfirma gemeinsam?
Diese Frage ging Rebekka auch am Schreibtisch von Herrn Ziervogel nicht aus dem Kopf.
»Investieren Sie in Immobilien, dann wirft Ihr Geld weit mehr ab als die Zinsen, die Sie momentan damit verdienen.«
Und du bekommst deine Maklergebühren.
»Und wenn es nun für mich in Ordnung ist, Geld zu haben, um etwas abzuheben, wenn ich es brauche?«
»Sie täten etwas für die Region. Kaufen, sanieren, vermieten.«
Rebekkas Tat für die Region bestand darin, sich um deren Verlierer zu kümmern. Und dazu gehörten auch 19 Recyclingarbeiter in Berlin.
»Ich möchte mich nicht binden. Und für Sie ist ein Hausverkauf doch nur interessant, wenn er auf Pump passiert.«
Es gab vermögendere Menschen als Rebekka, Menschen, denen man alles ansah, aber nichts abkaufte. Rebekka hingegen konnte die Abgerissene spielen und das Luxusweibchen, konnte mit Anfang 40 gute Freundin sein für einen Teenager wie für eine alternde Firmenchefin. Jeder hatte ihr bisher jede Rolle abgenommen. Nur die der Hausbesitzerin nahm sie sich selbst nicht ab. Sie war glücklich in dem Gartenhaus, in dem noch das Parfüm ihrer Mutter und der Geruch ihrer Kindheit in der Luft hingen. Und sie war glücklich in ihrem Hotelzimmer im Vico House , wenn ihr die geliebte Einsamkeit zu öde wurde. Den Rest der Zeit war Rebekka Schomberg glücklich auf Reisen. Das Reisen liebte sie besonders, jenes Innehalten an den schönsten Orten der Welt, was nicht hieÃ, alles infrage zu stellen und dort sesshaft werden zu wollen. Sie konnte ja wiederkommen, wann sie wollte. Die Melancholie der aussichtslosen Träume blieb ihr immer erspart.
Herr Ziervogel war wieder die Freundlichkeit in Person und schnell bereit, ihre groÃzügige anonyme Spende an die Kindertagesstätte âºLöwenzahnâ¹ in Hellersdorf zu überweisen, bevor er das Gespräch mit einem Räuspern beendete.
»Gestatten Sie mir doch noch eine Frage in eigener Sache.«
Rebekka horchte auf.
»In eigener Sache? Na, dann mal los, Herr Ziervogel.«
»Haben Sie eigentlich nie darüber
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