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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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einen Saunagang in der Wellnessoase gekleidet zu sein. Zudem mochte sie die dezente Ausstrahlung, die ein samtweiches Bikinioberteil ihrem Dekolleté bescherte, wenn sie es unter einem Blazer trug.
    Sie zog ein dünnes Unterkleid aus Seide darüber und ein schwarz-beiges Twinset von Chanel zu einem hellen Rock.
    Es war ein sonniger Tag, doch die typische Aprilkälte hielt Rebekka davon ab, sich zu sehr auf den nun beginnenden Frühling mit seinen sommerlichen Temperaturen zu verlassen.
    Ihr Gesicht war dezent geschminkt. Sie kämmte etwas Gel in das lockige rote Haar und trug es offen, um auf der Beerdigung nicht wie zu einem Geschäftstermin zu erscheinen.
    Die vier Kinder des Verstorbenen waren alle Mitte bis Ende 30. Sie waren längst erwachsen und würden ein kritisches Auge auf Rebekka werfen. Und in einer Stadt wie Berlin konnte ein Designerkostüm zur falschen Gelegenheit genau den falschen Eindruck erwecken.
    Als sie das Fenster in der Küchenecke schloss, begegnete sie draußen vor dem Gartenzaun dem neugierigen Blick von Helmut Faul.
    Wenn Sie sich in Ihrer Wohngegend ein positiv gestimmtes Umfeld schaffen wollen, dann grüßen Sie Ihren Nachbarn freundlich, auch wenn er es nicht tut.
    Der Mittsechziger trug wie immer eine Elvistolle und hockte im Sattel seines Mifa-Rades. Seine Füße berührten gerade so den Boden, und würde Rebekka eine Stripshow am Fenster abziehen, fiele Helmut Faul garantiert vom Rad. Doch er blieb da stehen und schaute, während Rebekka das Fenster schloss. Hier draußen hatte Klarheit zu herrschen. Und Faul, mit dem Rebekka außer Gutentagundgutenweg noch nie ein persönliches Wort gewechselt hatte, schien die Klarheit in diesem Haus zu vermissen. Auf Rebekka wirkte er wie ein Überbleibsel des Landes, das sich längst abgeschafft hatte und seine fleißigsten Lakaien nun sich selbst überließ. Hier und dort sah man noch einen dieser kleinen, beflissenen Giftzwerge. Dieses andauernde Flackern im Blick und die Suche nach einem Fetzchen Nahrung für ihre langsam vor sich hinrottenden Hirnzellen. Er hatte sogar eine Frau. Die Frau mit dem Charme und der Ausstrahlung einer Ostseequalle gehörte zu den Menschen, die gar nicht stattzufinden schienen. Irgendwer hatte sie mal neben Faul abgestellt, seitdem nannte man sie »Frau Faul«, und an diesem Platz in ihrem Leben hatte sie sich eingerichtet, um fortan vor sich hin zu gammeln bis zum trockenen Ende, von dem sowieso niemand etwas mitbekommen würde. Menschen oberflächlich abzuurteilen, empfand Rebekka nicht als Fehler. Sie kannte keinen hier draußen, der sich über sie schlaumachte, bevor er begann, sich das Maul zu zerreißen.
    In Fauls Gesicht las Rebekka wie in einem offenen Buch: Seiner Ansicht nach hatte der Name, der am Briefkasten stand, mit dem des Bewohners identisch zu sein. Doch am Briefkasten, der zu dem Gartenhaus gehörte, stand der Name Monika Schomberg . Und Monika Schomberg war seit fast einem Jahr tot. Und das ging so nicht.
    Auch das Wochenendabonnement der Berliner Zeitung lief noch auf den Namen ihrer Mutter. Rebekka hatte es einfach weitergeführt. Sie zahlte es immer für ein Jahr im Voraus und fand die Freitags- und Wochenendausgabe im Briefkasten und in ihrer Abwesenheit im Vico House vor. Der Austräger war bereits gegen fünf Uhr morgens unterwegs, was wunderbar zu Rebekkas weißen Nächten passte, den Nächten, in denen sie einfach nicht zu Bett ging und im Morgengrauen das quietschende Fahrrad des Zeitungsjungen ausmachte, der die Zeitungen im Viertel verteilte. Jedes Jahr zu Weihnachten fand der Junge einen Umschlag mit einem Geldschein vor. Jedes Jahr zu Weihnachten wurde in die Redaktion der Berliner Zeitung in der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte ein Blumenbouquet geliefert, Absender: Monika Schomberg. Frohe Weihnachten .
    Rebekka wollte nicht warten, bis Faul sich verzogen hatte. Sie nahm ihre Handtasche und den Schlüssel und schloss unter den Argusaugen ihres Nachbarn die Tür zu ihrer Gartenlaube sorgfältig ab. Sie drückte noch einmal dagegen, und auch das – dieses zusätzliche Absichern – wurde von Faul zur Kenntnis genommen.
    Sie trug Ballerinas zum Kostüm, so konnte sie zum Bus sprinten, der nur einmal pro Stunde das Dorf mit der S-Bahn mit Berlin verband.
    Im Bus begegnete ihr das komplette Panoptikum dieser Gegend. Ein älteres Ehepaar, trotz der frühlingshaften

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