Die Einsamkeit des Chamäleons
etwas von Fliesenlegen erzählte.
Er war tatsächlich Fliesenleger und schon deshalb ein gefragter Mann. Da er meist in Westmark bezahlt wurde, trug er ausschlieÃlich Klamotten aus dem Intershop . AuÃerdem fuhr er einen orangefarbenen Skoda mit FlieÃheck, der den in Kinderzimmern beliebten Matchboxautos aus dem Westen nicht unähnlich sah.
Das war die Zeit, in der Rebekka lernte, sich unsichtbar zu machen.
Sie lauschte den Geräuschen durch die angelehnte Tür zu ihrem Zimmer. Stefan Rehbauers dreckiges Lachen und das mädchenhafte Kichern ihrer Mutter. Dann sein Pfeifen auf dem Weg zum Klo, wo er sein benutztes Kondom in die Ecke schmiss und sich dann mit öligen Fingern durch seine blonde, dicke Haarmatte fuhr, immer noch pfeifend. Wenn er tagsüber da war, auf Rebekka traf und versuchte, den coolen, sportlichen Stiefvater zu spielen, indem er sie mit einer mitgebrachten Apfelsine bewarf, die sie gerade so fangen konnte.
Die zahnlose Kathrin hatte Rebekka ihr Chamäleon geschenkt, weil sie es nicht mit in den Westen nehmen konnte. Rebekkas Mutter konnte wenig dagegen sagen, doch plötzlich änderte sich das Verhältnis zwischen den beiden. Nur noch zum Essen kam Rebekka aus ihrem Zimmer. Dort saà sie stundenlang und starrte auf das Chamäleon in dem Glaskasten, den sie mit Kunstrasen ausgelegt und neu eingerichtet hatte. Eine Neonröhre leuchtete das kleine Reptil in all seinen Schattierungen aus, eine Wärmelampe sorgte für Gemütlichkeit. Zum Klettern hatte sie kleine Ãste und Zweige kreuz und quer gesteckt, dazwischen ein Seil gespannt und in die Mitte eine groÃe Pflanze gesetzt. Fasziniert schaute sie zu, wenn das glupschäugige Tierchen im Zeitlupentempo Wassertropfen von den Blättern leckte. Es schien seine früheren Besitzer nicht zu vermissen und passte sich Rebekkas Alltag vorzüglich an. Rebekka lebte auf. Die Monotonie aus Schule, Kaufhalle, ersten Rauchversuchen, die sie nun allein durchzog, Hausaufgaben und Sonntagsspaziergängen war von einem Moment zum anderen in ein völlig neues Licht getaucht, gerade so, als hätte sie mit dem Blick in das Terrarium den legendären Blick über den Tellerrand gewagt.
Zwischen Rebekka und ihrer Mutter war es nie die groÃe Liebe gewesen, eher eine funktionierende Verbindung, in der man sich symbiotisch ernährte. Die Mutter war oft traurig wegen ihrer Einsamkeit, weil sie fand, dass alle ringsum vielleicht nicht glücklicher, aber wenigstens verheiratet waren. An solchen Tagen wurde sie von ihrer Tochter getröstet und bekocht. Rebekka kaufte ein, putzte die Wohnung und pflückte Blumen auf der Wiese, bevor ihre Mutter von der Arbeit nach Hause kam und sich in ihren schlimmsten Zeiten als Erstes eine Flasche Murfatlar aus dem Kühlschrank holte. Rebekka wiederum konnte ihre Sommerferien ohne nervende Arbeitseinsätze verbringen, bei denen die Schüler sich ihr erstes Geld verdienten. Sie bekam schöne Ostern, Geburtstage und Weihnachten geboten; Dekoration, Geschenke und gutes Essen inklusive. Und sie hatte als einziges Mädchen ihres Alters einen Fernseher in ihrem Zimmer.
Waren einmal auf beiden Seiten die Batterien leer und die Vorzüge nicht ausreichend, dann verkeilten sich Mutter und Tochter im Streit wie zwei Hirsche ineinander und wären zu einer skurrilen Plastik aus zwei Skeletten verhungert, hätte dann nicht doch eine von beiden nachgegeben. Und das war meist Rebekka.
Nur in einer Situation lieà sie sich nie erweichen, nämlich dann, wenn Stefan Rehbauer auf dem Plan erschien. Rebekka wollte nicht zulassen, dass ihre Mutter sich in diesen Betthüpfer verliebte, und spann bei stundenlangem Betrachten ihres Chamäleons einen Plan.
Sein Haus an der S-Bahn-Station Mahlsdorf hatte sie bereits ausfindig gemacht und bald auch die anderen Adressen, die er vor und nach ihrer Mutter abgraste. Nun war es nur eine Frage der Zeit, und davon hatte Rebekka in den Sommerferien reichlich. Sie heftete sich an seine Fersen und an die der anderen Frauen, von denen einige nicht nur Kinder, sondern auch einen ahnungslosen Ehemann hatten. Bald war das Gerücht gestreut und schwärte vor sich hin wie eine eiternde Wunde: Seine Tochter sei auf der Suche nach Stefan Rehbauer, weil ihre Mutter mit einer schweren Infektion zu Hause läge. Der Arzt habe ihr nun auch gesagt, was es sei.
Es waren die frühen 80er Jahre. In die DDR war das Gerücht einer
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