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Die Einsamkeit des Chamäleons

Die Einsamkeit des Chamäleons

Titel: Die Einsamkeit des Chamäleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Holland Moritz
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nichts gesagt und das Geschehen nur mit großen Augen verfolgt. Er schien aus einem Tagtraum zu erwachen und hob nur die Hand zu einem angedeuteten Victory -Zeichen. Dabei wirkte er, als stünde er unter Drogen und war extrem abwesend. Umso mehr überraschte er die kleine Gemeinde mit seiner ziemlich logisch anmutenden Frage, auf die bisher noch keiner gekommen war: »Aber wieso bist du dann hier und nicht deine Mutter?«
    Â»Meine Mutter ist letztes Jahr gestorben.«
    Â»Dann ist sie also auch nicht alt geworden.«
    Â»Dann sind es ja schon zwei, die der Rentenbehörde noch einen letzten Gefallen getan haben. Wollen wir eine Selbsthilfegruppe gründen?«, warf Nils ein.
    Nils ist hier also der Komiker vom Dienst. Auf ihn heißt es, besonders gut aufzupassen.
    Â»Das tut mir leid!«, sagte Ulrike mit bösem Blick auf ihren Bruder.
    Â»Schön, dass du da bist«, beschloss Achim die Zeremonie des Kennenlernens, hakte Rebekka unter und ging zur Friedhofskapelle. Die anderen sowie der Rest der Trauergemeinde folgten.
    Auf einem Blumenständer inmitten zahlloser Kränze neben dem dunklen Eichensarg stand ein Foto des Verstorbenen. Rebekka saß in der ersten Reihe zwischen Achim und Ulrike, so konnte sie das Bild gut sehen. Sie prägte sich jede Gesichtsfalte des sehr freundlich wirkenden Mannes ein. Graue Locken hingen ihm ins Gesicht. Das Foto wirkte nicht gestellt. Es war in einer Art Werkstatt aufgenommen, der spontane Schnappschuss von einem Mann, der glücklich aussah und wirkte, als würde er kurz von etwas sehr Schönem abgehalten, dem er sich gleich wieder zuwenden würde.
    Zuerst sprach ein Pfarrer, der ein Freund der Familie zu sein schien. Der Mann trug Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover, wirkte mit seinem blonden Borstenschnitt und seiner warmen Stimme vertrauenerweckend. Rebekka erfuhr einiges über die Kinder der Familie Otto, die nun in derselben Stuhlreihe wie sie saßen, und über die musisch begabte Mutter, die nur einige Meter entfernt auf demselben Friedhof lag, auf dem nun auch ihr Mann seine so genannte letzte Ruhe finden würde.
    Ulrike wirkte aufmerksam, hörte zu wie eine Schülerin dem Lehrer und verfolgte jedes Wort in Gedanken noch weiter, um sich ein bleibendes Bild zu verschaffen.
    Nils wippte nervtötend mit dem Fuß. Seine ganze Körperhaltung war Ablehnung, selbst im Sitzen hielt er die Arme vor der Brust verschränkt.
    Achim schielte abwechselnd auf Rebekkas Beine in blickdichten Strumpfhosen und dann wieder in die Runde, vergeblich nach einem Lächeln in den Gesichtern der anderen suchend.
    Jörn hatte die Augen geschlossen.
    Der Vater hatte seine Kinder nach dem frühen Tod der Mutter allein groß gezogen. Er hatte nie wieder eine andere Frau an seiner Seite geduldet, aber die eine oder andere gute Freundin gehabt.
    An dieser Stelle spürte Rebekka einen leichten Stoß in die Seite, und Ulrike lächelte sie verschwörerisch an. Rebekka schürzte die Lippen, hätte gern etwas trauriger geschaut, als ihr zumute war, und freute sich doch gleichzeitig an der erfrischenden Art dieser jungen Frau neben ihr. Schlechtes Gewissen kannte Rebekka seit Langem nicht mehr, zumindest nicht gegenüber jenen, deren Gutmütigkeit sie erst ausnutzen musste, bevor sie ihnen helfen konnte. Diese Medaille hatte wie jede andere auch zwei Seiten, und Rebekka entschied, was die Zahl war und wann der Kopf zu fallen hatte.
    Also lächelte sie Ulrike freundlich an, drückte kurz ihre Hand und wandte sich wieder dem Pfarrer zu, begierig, den Faden erneut dort aufzunehmen, wo sie ihn kurz verloren hatte, um ihn weiterzuspinnen zu einem dichten Netz.
    Ein Musikstück wurde gespielt. Ein Stück aus Puccinis Oper Tosca . Rebekka bekam Gänsehaut, als sie Maria Callas’ Stimme vernahm. Die Aufnahme musste um die 60 Jahre alt sein. Sie hatte sie zuletzt auf Ischia gehört, auf einem Hügel in der Villa von Luchino Visconti. Mit einem Glas Weißwein, das draußen in der Hitze beschlug, hatte sie auf der Terrasse gesessen, drin in dem kleinen, menschenleeren Museum lag neben Viscontis Plattenspieler die vergilbte Plattenhülle, auf der der Name Callas stand. Rebekka hatte die Augen geschlossen und der Musik gelauscht.
    Auch jetzt schloss sie wieder die Augen und malte sich den Hügel im Golf von Neapel aus und wie schön ihr Leben war, in dem sie reisen konnte, wann und wohin sie wollte,

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