Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
bevor Sainât die ungeheuerliche Nachricht erhielt, bei der Abfassung des zehnten Briefes an den Präsidenten zum Gipfel seiner Rhetorik vorgestossen, wobei bemerkt werden muss, dass Sainât selbst einen nicht zu leugnenden aktiven Anteil an der Formulierung des Brieftextes hatte, insofern sie sich mit Abduh in seinem kleinen Laden etwa drei Stunden lang besprochen hatte, um sicherzustellen, dass der Wortlaut gefällig und flüssig sei. Abduh sah sich gezwungen, den Brief mehrmals zu schreiben, da Sainât ständig neue Formulierungen fand und neue, eindrucksvolle Gedanken beisteuerte. Wäre nicht Monatsende gewesen, weswegen fast niemand mehr seinen Fuss in den Laden setzte, so wäre Abduh trotz seiner Gutmütigkeit und seiner Liebenswürdigkeit nicht in der Lage gewesen, all das so geduldig durchzustehen. Andrerseits genoss Abduh auch dieses Schreiben, denn das gab ihm Gelegenheit zu entdecken, dass er ausnehmend schöneund gefällige Worte zu finden vermochte, die ihn selbst beeindruckten. Übrigens hatte schon das Ergebnis seiner ersten Schreiben sein Selbstwertgefühl ebenso gestärkt wie das Vertrauen in seine diesbezüglichen Fähigkeiten. Auch Sainâts ermutigendes Geschenk hatte er nicht vergessen – es war ein stattlicher Erpel, den Sainât eine Woche lang allabendlich mit trockenen Bohnen gemästet hatte, bevor sie ihn Abduh überreichte; schön schwer sollte er sein, und er hatte wirklich fast die Ausmasse eines Pelikans. Ausserdem hatte sie ihm noch zwei Flaschen Sorbet geschenkt, die eine mit Rosen-, die andere mit Aprikosengeschmack. Und das ganze Geschenk war dazuhin noch eine echte Überraschung für Abduh, der niemals erwartet hatte, dass es so prächtig und so kostspielig ausfallen würde.
In diesem letzten Brief hatte Abduh am Anfang versucht, die herkömmlichen Einleitungsworte, die er jedesmal schrieb und die voll des Dankes und des Ruhmes und des Lobpreises für den Präsidenten der Republik waren, durch einige seiner Ansichten über die gegenwärtige politische Situation zu bereichern. Ebenso durch seine Meinung über die Amerikaner und die Engländer, über die Rolle des Feudalismus und des mit ihm verbündeten Imperialismus und durch andere Äusserungen, die sich immer Abduhs besonderer Wertschätzung erfreuten. Er selbst hätte gerne noch allerhand anderes geschrieben, um seine umfassende Zeitungs- und Zeitschriftenlektüre zu belegen. Das hätte ihn dann zu Snâts Fall und zu ihrem Antrag geführt, gefolgt von ihren guten Wünschen und dem Ausdruck ihrer Hoffnung auf ein langes Leben des Präsidenten und Gottes Segen für diesenund seine Familie und einem Bittgebet an Gott, dass er ihn vor der Niedertracht seiner Feinde und Widersacher schützen möge.
Doch Sainât, immer voller Pläne, trug in ihrem Kopf schon einen neuen Gedanken, den sie äussern wollte, einen Gedanken, der Gestalt angenommen hatte, während sie alltäglich vor den Bildern des Präsidenten sass und mit ihnen Zwiesprache hielt. Sainât hatte den Präsidenten nach seiner Antwort auf ihr Schreiben und nach der Geschichte mit den drei Pfund sehr liebgewonnen. Sie spürte, dass er ihre wahre Stütze in dieser Welt war, und sie fühlte, dass seine Bilder ihr Gesellschaft leisteten und ihre Einsamkeit vertrieben, wenn sie allein in ihrer Hütte sass. So beschloss sie, frank und frei zu ihm zu reden und ihm alles zu sagen, was sie auf dem Herzen hatte. Das teilte sie Abduh dem Barbier mit, der diese Idee anfänglich zurückwies und das für eine Einmischung in seine Zuständigkeit hielt. Doch sie flehte ihn an und bat ihn, es nach ihrem Wunsch zu machen: »Vielleicht wird Gott dem Bedürftigen etwas bescheren«, sagte sie und meinte damit den Brief. Schliesslich liess Abduh sie sagen, was sie sagen wollte, da er befürchtete, das könnte die entscheidende, nutzbringende Aussage sein, und dann wäre er es, der sie dieses Vorteils beraubte, wo sie doch eine arme, hilflose Frau war. Also schrieb er alles, was Sainât dem Präsidenten zu sagen hatte.
Sie erzählte ihre Geschichte von A bis Z, vom Augenblick an, da ihr Vater starb, als sie noch ein kleines Mädchen war, bis zu dem Moment, als sie Witwe wurde; damals war sie noch Jungfrau, unberührt von ihrem Mann, der zusammen mit dem Ladenbesitzer, für den er arbeitete, bei einem Brandums Leben gekommen war. Sie erzählte ihm auch, wie sie danach bei ihrem einzigen Bruder wohnte, den sie aber dann, nachdem er geheiratet hatte und ihm eine Schar Kinder am Hals hing, verliess,
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