Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
Seidenhemd in die Hand gebissen, da sie das Gefühl nicht losgeworden wäre, er würde über das Begräbnis lächeln; sie hätte ihm ins Gesicht geschaut, als er mit seinem Stock auf das Bild des Präsidenten schlug, das sie trug; und da hätte er ihr zugegrinst.
Von Sainât, die weiterhin »die Welt ist falsch und trügerisch« vor sich hinsagte, heisst es, sie sei Jahre nach der Anfertigung dieses Rapports für einige Tage auf einem anderen Polizeiposten festgehalten worden, und zwar aufgrund ihrer Teilnahme an dem Aufruhr, der ausbrach, nachdem die Regierung den Brotpreis erhöht hatte. Damals habe sie immer wiederholt: »Tausend Klagen folgen dir, Geliebter aller Menschen!« Ausserdem noch vieles andere, das zu zitieren kein Anlass besteht.
Einunddreissig schöne grüne Bäume
Bevor ich die Geschichte erzähle, will ich zunächst schildern, warum ich überhaupt beschloss, sie zu schreiben, ja, warum ich genau aufzeichne, was geschah. Ich will erklären, was ich erlebte und was sich mir einprägte, bis man mich an diesen schrecklichen Ort brachte, der so fernab der Welt ist, dass ich längst keine Hoffnung mehr habe, von ihm erlöst zu werden oder ihn jemals wieder zu verlassen, es sei denn in die Welt des Todes. Ich sagte mir deshalb: Schreib, Mädchen, schreib und erklär deine Geschichte, und versteck sie an einem sicheren Ort! Verwahre sie im Bettzeug, das du dazu an der Seite ein bisschen aufschlitzt. Vielleicht findet eines Tages jemand die Seiten und bedauert dich, wenn er erfährt, wie elend es dir erging und wie man dich ungerechterweise an diesem Ort gedemütigt hat. Damit du schweigst, ewig schweigst, hattest du eines Tages sogar beschlossen, deine Zunge abzuschneiden, jenes kleine, schlichte Stück Fleisch, das ständig Worte und Gedanken artikuliert.
Ich werde nicht über den höllischen Ort berichten, an dem ich jetzt lebe. Ich werde nicht meine Empfindungen über die schmutzigen, grauen Wände beschreiben, die mich nicht schlafen lassen, auch nicht die Decke, die ich die langen Nächte hindurch anstarre, mich davor fürchtend, dass sie auf mich herabfällt und mir den Atem nimmt. Während ich sie ansehe, rückt sie mir in boshafter Weise Stück für Stück näher. Wenn sie mich fast erreicht hat, schreie ich aus Leibeskräften. Dann entfernt sie sich wieder und kehrt in ihreursprüngliche Lage zurück. Doch darüber werde ich nicht berichten und auch nicht über die dicke Frau, die an ihrem runden, schlangeneigleichen Kinn hässliche Härchen hat und die zu mir kommt, um mir ihre abscheuliche Spritze in den Hintern zu geben, über die ich – trotz allen Schmerzes und Widerwillens – lache. Ich lache so lange, bis ich merke, dass sie wütend ist, und ich über sie triumphiere. Ich werde auch nicht über das dreckige, vergiftete Essen erzählen, das sie mir jeden Tag geben, ohne dass ich dagegen protestieren kann. Einmal, als ich sah, wie ein Sperling durch das Fenster hereinschlüpfte und einige Krümel davon aufpickte, habe ich voller Bitterkeit und ohnmächtiger Wut geweint, ja, ich lief sogar zu ihm hin, um ihn fortzujagen. Doch bevor er wegflog, nahm er ein kleines Krümchen in seinen Schnabel, ein kleines, vergiftetes Krümchen von meinem Essen. Aus Kummer darüber weinte ich einen Tag lang, denn ich dachte an das unselige Schicksal des armen Sperlings.
Davon und von den vielen anderen Dingen, die ich an diesem Ort beobachtet habe, werde ich nicht erzählen, weil ich bei dem blossen Gedanken daran das Gefühl habe, ich sei an eine gewaltige Bombe gebunden, die im Begriff ist zu explodieren, richtiger gesagt, mich zu zerfetzen, meinen Geist und meinen Körper in unendlich viele kleine Stücke zu zerreissen. Deshalb schreibe ich nur das auf, was mir geschah, bevor ich gezwungen wurde, an diesem Ort zu leben.
Jahre zuvor hatte ich eines Tages gefühlt, dass es etwas gab, was meinen Zustand, ja mein Innerstes allmählich veränderte. Seit ich mein Studium an der Universität absolviert hatte und mir das Amt einer Angestellten der Wasserbehörde zugewiesen worden war, erschienen erste Tropfen derFlut, die dann Menschen und Dinge, auch Tiere und Pflanzen erreichte.
Diese Flut überspülte alles, alles Schöne in meiner schönen Stadt. Sogar an jenem Tag, an dem sie mich an diesen schrecklichen Ort brachten, an dem ich lebe, hatte ich besorgt lächelnd auf die da und dort verstreuten Hochhäuser geblickt, an denen der Wagen in wahnsinniger Geschwindigkeit vorbeiraste. Ich lächelte und
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