Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
und wie sie besonders auch die Mutter seiner Kinder verliess, mit der es jeden Tag, den Gott geschaffen hat, Zänkereien gegeben hatte, und danach dann allein in ihrer Hütte lebte. Sie erzählte ihm auch, dass sie mehr als einmal erfolglos versucht hatte, Arbeit zu finden. Bei ihrem letzten Versuch in dieser Richtung sei sie gegangen, um eine Stelle als Putzfrau in der Schule in der Nähe ihrer Wohnung zu bekommen, doch sei sie abgelehnt worden, weil sie nicht lesen und schreiben könne. Dann, nachdem sie ihm mit vielen rührenden Worten für die drei Pfund, und ebenso für die achtzehn Pfund, gedankt und aus tiefstem Herzen einen angemessenen Segenswunsch für ihn gesprochen hatte, sagte sie zu ihm: »Nichts für ungut, aber die drei Pfund reichen nicht aus, wo doch das Kilo Fleisch inzwischen ein ganzes und das Kilo Lupinenkerne ein halbes Pfund kostet.« Dann, darüber hinaus, müsse sie eine Packung Medizin kaufen, die ihr der Doktor aus irgendeinem Grund verschrieben habe. Sie erzählte ihm auch, dass sie alleinstehend sei und dass sie sich schäme, auch wenn es noch so schlimm stehe, jemanden anzubetteln. Deshalb richte sie ihre Bitte an niemand anderen als ihn, als Schwester an den Bruder, als Tochter an den Vater, als Bedürftige an denjenigen, der fähig sei – fähig, ihre Rente etwas anzuheben, damit sie ausreicht, um die Bedürfnisse des täglichen Lebens zu befriedigen.
Dann bat sie Abduh den Barbier, dem Präsidenten detailliert den Vorfall am Tag seiner Ausfahrt mit der Freitagsgebetskolonnezu schildern; auch das Verhalten der Soldaten, die ohne Anstand und Ehre mit ihr umgesprungen seien. Doch an diesem Punkt weigerte sich Abduh der Barbier kategorisch. Das hätte doch nur zur Folge, dass der Brief nie den Präsidenten der Republik erreichen würde, sollte ihn irgend jemand anderer als er selbst öffnen und lesen. Er schlug seinerseits vor, am Schluss einige Gedichtzeilen anzufügen, die er noch aus den Tagen seiner Grundschule auswendig konnte. Doch Sainât lehnte ab. Der Präsident, so meinte sie, würde auch so verstehen, was sie sagt, da gebe es keinen Grund für den Dichter. Also beschränkte Abduh sich auf einen normalen Briefschluss, in dem er bekräftigte, dass das gesamte Volk im Kampf gegen Imperialismus und Reaktion hinter seinem Führer, seinem Helden stehe.
Sainât war sehr zufrieden mit dem Brief. Sie war sicher, todsicher, dass der Präsident darauf antworten und dass er die im Hinblick auf ihre Bitte notwendigen Massnahmen ergreifen würde. Sie hatte ihm doch wirklich einen Brief geschrieben, der alle weiteren überflüssig machte, und sie träumte von einer Erhöhung ihrer Rente auf fünf Pfund. Ja, in ihrer Phantasie hatte sie im Lichte dieser Möglichkeit schon in Grundzügen einen neuen Lebensplan entworfen. Es gab da auch ein banges Gefühl, das sie hin- und herriss, das Gefühl, dass die fünf Pfund, wenn sie sie am Monatsanfang jeweils in der Hand hielte, ein gewaltiger Sprung nach vorn wären, der ihr Leben verändern, ja vielleicht sogar zur Verwirklichung ihres uralten Traumes beitragen könnte, jenes Traums, den sie nie aufgegeben hatte – zu heiraten und Mutter zu werden. Zwar stand einiges zwischen ihr und jenem Traum, denn das Leben war nicht stehengeblieben, undsie hatte das Alter des Begehrs überschritten, und selbst als sie noch, nach dem Tod ihres Bräutigams, in jenem Alter war, schaute kein Mensch sie an, besass sie doch – Gott sei’s geklagt – weder Geld noch Schönheit, noch sonst etwas. Aber diese fünf Pfund könnten vielleicht jemanden veranlassen, sie in Betracht zu ziehen. Und um die Wahrheit zu sagen, Sainât hatte ein Auge auf einen nicht mehr ganz jungen Strassenfeger geworfen, den sie schon mehrfach gesehen hatte; er fegte die Hauptstrasse, in deren Nähe sie mit ihren Waren sass. Sie hatte erfahren, dass er seine Frau und seine Kinder vor vielen Jahren verlassen hatte und aus seinem Dorf weggelaufen und nach Kairo gekommen war. Aber niemand hatte bisher erfahren, woher er stammte. Kundige Blicke liessen sie mutmassen, es sei durchaus im Bereich des Möglichen, von ihm noch ein Kind zu bekommen, und so dachte sie, die fünf Pfund könnten da verlockend auf ihn wirken, wo die Verlockung der Natur, die ihr Gesicht und ihren Körper gestaltet hatte, versagte.
Doch »die Welt ist falsch und trügerisch und hat für niemanden Bestand«. Das wiederholte Sainât seit jenem unheilvollen Tag, an dem Abduh der Barbier ihr die ungeheuerliche
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