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Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten

Titel: Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenos Verlag
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Nachricht mitgeteilt hatte, einige Tage nachdem ihr gemeinsam verfasster Brief an den Präsidenten abgeschickt worden war. Sie war zu ihm in den Laden gegangen, um zu erfahren, ob schon eine Antwort vom Präsidenten der Republik eingetroffen sei; sie hatte nämlich Abduhs Laden als Adresse angegeben, weil diese klar und bekannt war und der Briefträger sie unmöglich verfehlen konnte. Abduh der Barbier, auf den Sainât neben seinem Laden wartete, erschien alsbald am Ende der Gasse; die Farbe war aus seinemGesicht gewichen, er war gelb wie Kurkuma und schlug sich auf die Wange wie ein Klageweib. Ja, in diesem Augenblick hatte Sainât das Gefühl, sein Wasser müsse ihm zwischen den Beinen herabgelaufen sein, besonders als sie ihn wie besessen aufs Radio stürzen und daran herumdrehen sah. »Der Mann ist tot«, schrie er dabei. »Der Präsident ist tot, ihr Leute! Der Präsident lebt nicht mehr, ihr Menschen!«
    In diesem Augenblick, als sie sich an Abduh festklammerte, spürte Sainât nur noch, dass in ihrem Innern ein seltsamer Zorn aufgebrochen war, ein schrecklicher Zorn, und sie beschimpfte ihn: »Halt’s Maul … Gott schneide dir deine Zunge ab, Abduh … Spuck dieses rabenschwarze Wort aus deinem Mund …!«
    Aber die Bewohner der Gasse hatten sich schon alle um sie geschart. Ihre Blicke sprachen die bittere Wahrheit aus, die Sainât zu glauben sich weigerte. Ebenso brachten die Tränen, die über jedes Gesicht flossen, als hätte man sie durch einen Knopfdruck zum Fliessen gebracht, die Wahrheit zum Ausdruck. Dann waren da noch die zerzausten Haare, von denen die Kopftücher der Frauen herabgerutscht waren, und die Hände der Männer, die klagend aufeinanderschlugen – all das gab Sainât die feste Überzeugung, dass sie nicht träumte, dass es wirklich so war. Und sie konnte nicht anders, sie schrie, sie stiess einen tierischen Schrei aus. Dann brach sie ohnmächtig zusammen.
    Beim Begräbnis tat Sainât mehreres. Zunächst lief sie kreuz und quer durch die Gassen und trommelte Frauen zusammen, die sich ins Gesicht schlugen und heulten. Dann ging sie in ihrer Mitte bis zur breiten Hauptstrasse, wo der Begräbniszug durchkam. Dort sah Sainât eine UnmengeMenschen; es war wie am Tage des Jüngsten Gerichts, und sie rief: »Es gibt keine Kraft und keine Macht ausser bei Gott!« Sie erfuhr auch, dass der Präsident Kindern, Frauen und vielen guten Menschen lieb und teuer gewesen war. Da wurde ihr noch schwerer ums Herz, und sie jammerte und schluchzte wie ein kleines Kind. Wieder rief sie weinend: »Wie schrecklich um dich, mein Augapfel!« und »Viel zu früh dahingerafft, mein Herrscher!« und »Tausend Klagen folgen dir, unser aller Geliebter! Du Geliebter dieser ganzen Welt!«
    Dann plötzlich fielen ihr der Brief und die Rente wieder ein, und sie versuchte, sich vorzustellen, was aus beidem jetzt würde. Doch als das schnelle Denken versagte und ihr nichts Einleuchtendes in den Sinn kam, wurde sie unruhig und verliess die Frauen. Sie begann zur Bahre zu laufen, stiess an Schultern, Hände und Köpfe. Sie hatte beschlossen, einen Blick aus der Nähe auf ihn zu werfen, ihn mit eigener Hand zu berühren. Als dann die Bahre vor ihren Augen grösser und grösser wurde, als sie seine Züge deutlich sah und begriff, dass sie ganz nahe bei ihm war, warf sie sich mit aller Kraft mitten zwischen die Leute, stiess diesen und jenen und achtete nicht darauf, was ihr selbst geschehen könnte. Als sie nur noch zwei Armlängen oder sogar noch weniger von der Bahre entfernt war, begannen sich Hände nach ihr auszustrecken, nach ihr zu schlagen, um sie zurückzuhalten. Sie schob sich weiter vor und wurde wieder zurückgehalten. Dann plötzlich spürte sie den salzigen Geschmack von Blut auf ihren Lippen, und sie merkte, dass sie ihre Nase verloren hatte.
    Der Wahnsinn, der Sainât in jenem Augenblick befiel,war, so sagen manche, echt. Sie selbst sagt, wenn sie an diese Augenblicke zurückdenkt und in ihren Augen ein ruhig-trauriger Blick liegt, dass sie sich damals an den Tag mit der Wagenkolonne nach dem Freitagsgebet erinnerte, an das lange Warten und daran, was ihr damals passiert war. Deshalb gab sie, völlig unbewusst, die Hiebe und die Schläge, die auf sie niederprasselten, mit noch stärkeren Schlägen zurück und grub ihre Zähne so tief sie konnte in alle diejenigen ein, die sie schlugen.
    Für den Rapport hingegen, den man über sie anfertigte, behauptete sie, sie hätte den fetten Mann mit dem weissen

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