Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
»Wir müssen direkt an das Thema herangehen und nicht um den heissen Brei herumreden. Lass mich bitte weitermachen.«
Sie nahm den Stift und schrieb:
Geehrter Herr Herausgeber!
Wir wollen keine Umschweife machen. Das Thema ist kurz gesagt folgendes. Die jüngste von uns, Mimi, ist vorzwei Monaten dreissig geworden, Susu geht auf die Vierzig, und ich selbst habe die Sechsunddreissig hinter mir. Wir alle sind, wie dem Vorausgehenden zu entnehmen, noch nicht verheiratet. Drei erwachsene Schwestern, von denen noch keine verheiratet ist.
Natürlich könnten Sie fragen, wo denn da das Problem liegt. Es gibt Hunderte, ja Tausende von Frauen ohne Ehemänner. Aber wir, mein Herr, sind völlig von der Welt der Männer ausgeschlossen. Wir wissen nichts von ihnen. Was sie denken. Wie sie empfinden. Ob sie lieben. Ob sie hassen. Sie sind, ehrlich gesagt, für uns fremde, rätselhafte Wesen. Wir haben noch nie mit einem Mann aus der Nähe zu tun gehabt. Unser Vater ist gestorben, als wir noch sehr jung waren. Brüder oder Verwandte haben wir nicht. Wir sind von einem Baum abgeschnitten. Lassen Sie uns eine einfache Geschichte erzählen, die Ihnen das verdeutlichen wird. Beim Tod unserer Mutter gab es da noch einen Vetter von ihr, der weit weg in ihrem Dorf lebte. Als ihn die Nachricht erreichte, kam er mit seiner Frau, um uns zu kondolieren. Mimi war ganz verstört, als sie die Tränen in seinen Augen sah, während er über unsere Mutter sprach, die die Kameradin seiner Kindheit und Jugend gewesen war. Sie starrte ihn an wie ein Weltwunder. Es war dies nämlich, mein Herr, das erste Mal, dass wir einen Mann mit Tränen in den Augen und mit tieftrauriger Stimme aus der Nähe gesehen hatten.
Wir wollen heiraten, jawohl heiraten, egal wie und egal wen. Wir wollen ein Heim haben und Kinder, wie alle anderen Frauen dieser Welt auch. Stellen Sie sich nur einmal vor, was Mimi sagt. Sie sagt: Ich würde mein Leben hingeben für ein Kind, das mich Mami nennt oder wenigstens Tante. Ichwürde wirklich alles tun, damit eine von uns heiratet und Kinder hat.
Mein Herr …
Sagen Sie nicht, probiert’s doch, stellt es eben schlau an, forscht nach den Männern, denn die Männer heiraten nur, wenn Frauen sich mit ihnen verheiraten. Diese Redensarten kennen wir zur Genüge. Wir haben genug Romane und Geschichten gelesen. Wir wissen, dass es so etwas gibt, das man »die Waffe der Verführung« nennt, und eine Kunst, die »das Auswerfen der Netze« heisst. Wir haben’s probiert, mein Herr. Wir haben es viele Male probiert. Seit wir alt genug dazu sind, haben wir uns herausgeputzt und enge Kleider und Schuhe mit hohen Absätzen angezogen. Wir haben uns rot und grün und mit wer weiss was sonst noch für Farben geschminkt, um unserem Gesicht etwas Frische und unseren Lippen etwas Anziehungskraft und Reiz zu geben. Wir haben uns knappgehalten, haben manchmal am Essen gespart, nur um etwas Geld auf die Seite zu legen und uns eine schöne Kette oder ein hübsches Armband zu kaufen, das dazu beitragen sollte, einen verborgenen Reiz bei uns zur Geltung zu bringen. Aber welch ein Irrtum – dass der Ohrring Ohren schafft oder der Gürtel eine Taille. Mimi und ich, wir sind Lehrerinnen, und wir haben das Unmöglichste unternommen, um an Männer heranzukommen. Wir haben Beziehungen geknüpft zu Kolleginnen, die Brüder im Heiratsalter hatten. Aber all das führte zu keinem Mann, absolut keinem. Im Schatten der jüngsten herrschenden Welle haben wir schliesslich sogar, wie viele andere, auf Kopftuch und langes Kleid zurückgegriffen und haben, wie andere, behauptet, die Männer würden jetzt die so gekleideten Frauen vorziehen.Aber dem war überhaupt nicht so, mein Herr. Kein Mann kam uns näher, kein Mann.
»Erzähl ihm die Geschichte von unserem Nachbarn, dem Herrn Hassan«, rief da Susu.
Wir hatten einen netten Nachbarn, mein Herr; er hiess Hassan, seine Frau Karîma. Sie, Gott erbarme sich ihrer, bekam eine schwere Krankheit, an der sie nach kurzer Zeit starb. Als sie von dieser Welt Abschied nahm, liess sie Herrn Hassan mit fünf Kindern zurück. Da halfen wir ihm immer im Haushalt, und Susu, die keine Stelle hatte, hütete seine Kinder. Er ging seiner Arbeit nach, und wenn er zurückkam, fand er sein Haus sauber und ordentlich, seine Kinder wohlversorgt. Wir sagten uns, Herr Hassan werde sicher ein Einsehen haben und eine von uns heiraten, zumal er uns alle freundlich behandelte und Susu sogar mit offensichtlicher Liebenswürdigkeit
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