Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
Reich des Todes einging, hatte der glückliche Storch schon beschlossen, mit seiner Gefährtin an den Sumpf zu ziehen, um an diesem Ort ein Nest zu bauen und sich einzurichten.
Das Kartenspiel
Es war kein gewöhnlicher Abend im Leben von Susu, Mimi und Fifi. Obwohl nämlich die Spielkarten wartend auf dem Tisch neben dem Tablett mit dem kurz zuvor aufgebrühten Tee lagen, waren die drei anderweitig beschäftigt. Darum musste jene indische Köstlichkeit so lange warten, dass sie schon längst nicht mehr heiss war, als Susu plötzlich wieder daran dachte.
»Ach, du ahnst es nicht!« rief sie, als sie aufschaute und ihr Blick auf die glänzende Teekanne fiel. »Wir haben den Tee vergessen.«
Doch Fifi, die sich anschickte, vorzulesen, was sie in den vorangegangenen Augenblicken geschrieben hatte, brachte sie mit einem vorwurfsvollen Blick zum Schweigen, und Mimi pflichtete ihr bei mit dem Missbehagen von jemandem, der schon etwas zu lange warten musste. Da entschuldigte sich Susu für ihre Unterbrechung und flüsterte: »Ist ja gut, Fifi, lies! Aber lies langsam, bitte.«
Fifi las vor, was sie geschrieben hatte:
Lieber Herr Herausgeber von »Einsame Herzen«:
An Sie richten wir diesen Schrei, der aus dem Herzen kommt, nein, der aus den Herzen kommt, unseren Herzen, den Herzen von Susu, Mimi und Fifi. Wir hoffen sehr, mein Herr, dass Sie Verständnis für uns haben und dass Sie unseren Brief zu Ende lesen und dass Sie uns dann einen aufrichtigen Rat geben, der unseren traurigen Herzen und unseren ratlosen Seelen Frieden schenkt, so dass wir eine Lösungfinden, die uns verborgen war, und einen Weg gewiesen bekommen, den wir nicht zu beschreiten wussten.
Wir, mein Herr, das sind drei Schwestern; unser Vater ist vor langer Zeit verstorben, und unsere Mutter hat uns ganz allein grossgezogen, bis wir erwachsen und selbständig waren – aber was für eine Selbständigkeit, mein Herr, was für ein Erwachsensein!
Kurz und bündig, offen und ehrlich, wir besitzen auch nicht das geringste Quentchen an Anmut oder Schönheit. Das ist die Ansicht der Leute über uns und auch die Ansicht des Spiegels, vor den wir jeden Morgen, ja, immer und überall treten. Das ist die Wahrheit, die wir genau kennen und über die wir uns niemals hinwegtäuschen können.
Trotz unserer reinen Herzen und unserer lauteren Seelen wünschten wir uns doch, Gott möchte diese durch reine Haut und strahlende Augen ersetzen und die Natur möchte uns barmherzig ein wenig von dem zukommen lassen, worüber sie verfügt, und uns etwas von dem gewähren, was wir auf andere Leute verteilt sehen. Doch sie hat gegeizt und war knausrig mit uns, so dass wir uns manchmal sogar gewünscht haben, lieber brutal und böse und hartherzig zu sein als unattraktiv und hässlich. Jeder Mann, jeder x-beliebige Passant auf der Strasse wendet sein Gesicht von uns ab, kaum dass sein Blick auf uns gefallen ist.
Nur allzugern würden wir irgendein Gebrechen in Kauf nehmen, wären blind oder stumm oder lahm, wenn wir dadurch einen Hauch von Schönheit oder ein wenig Attraktivität erhielten. Doch, mein Herr, alles, was wir besitzen, sind Wünsche, nichts als Wünsche. Mimi zum Beispiel, die jüngste von uns allen, geschätzter gnädiger Herr …
Hier unterbrach sie Mimi. »Lass mich von mir selbst erzählen, bitte!«
Geehrter Herr!
Ich bin Mimi, das Nesthäkchen, wie man so sagt, habe aber äusserlich absolut nichts Flaumiges oder Herziges an mir. Jeder kann das feststellen, egal wer. Soll ich von meinen strohigen, struppigen Haaren erzählen, die aus meinem Kopf ein Igelchen machen, das direkt auf den Schultern klebt? Oder von meinen O-Beinen, die wie ein Nussknacker aussehen? Oder von meinen vorstehenden Rippen, an denen jedes Kind zählen lernen kann. Es ist zwar richtig, dass Fifi und Susu in dieser Hinsicht um einiges besser dran sind, aber genau das ist der Grund dafür, dass ihnen niemand ins Gesicht schauen will. Ausserdem …
Lulu kam und schaute. Ihr schien das übliche Abendritual etwas verspätet zu sein, was seinen Grund ja in der Zunahme der abendlichen Aktivität der Kakerlaken haben mochte. Sie stand ratlos da und drehte ihre Ohren nach da und nach dort. Schliesslich sprang sie hoch und rollte sich am Rand des Tisches zusammen, an dem die drei Schwestern über das Blatt Papier gebeugt sassen. Mimi kraulte sie zärtlich und küsste sie zwischen die Ohren; sie schnurrte glückselig.
Fifi schien etwas ungeduldig. »So geht es nicht, Mimi«, sagte sie.
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