Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
Lebensstil ein, der durch Ruhe und Ordnung gekennzeichnet war und dadurch, dass er die Zeit nach der Arbeit höheren menschlichen Vergnügungen widmete, zum Beispiel einem Kinogang, wenn es einen guten Film gab, oder einem Theaterbesuch, wenn von ausgezeichneten Schauspielern literarisch wertvolle Werke aufgeführt wurden. Meistens jedoch war die Lektüre Schâkirs Abendritual, an das sich Sâmija rasch gewöhnte und an dem sie sich nach und nach beteiligte, dafür auch die Lektüre der gängigen Zeitschriften und der sentimentalen Unterhaltungsgeschichten aufgab, um in die weite Welt des Buches einzutreten. Schâkir verhalf ihr zum Verständnis und zum Genuss, und nur wenige Monate vergingen, da war das Buch ihnen ein ständiger gemeinsamer Begleiter für die Stunden vor dem Schlafengehen geworden.
In der ersten Zeit ihrer Ehe machte Schâkir für die künftigen Jahre ihres Lebens einen Plan, und zwar im Licht der zu erwartenden Gehaltserhöhungen, so dass sie anständig lebenund eine gewisse Summe für irgendwelche unvorhergesehenen Ereignisse in ihrem Leben zurücklegen könnten. Zu jener Zeit gingen sie noch häufig ins Kino, mitunter mehr als einmal pro Woche, wenn zufällig mehr als ein guter Film lief. Auch zahlreiche schöne Theaterstücke schauten sie sich an, wonach sie überglücklich und vollauf zufrieden nach Hause zurückkehrten und am nächsten Tag heiter und entspannt ihrer Arbeit nachgingen. Sâmija ertrug sogar die Stupidität der Leute auf dem staatlichen Amt mit Geduld und Gleichmut, und Schâkir erzählte gewöhnlich seinen Kollegen im Büro, was er sich am Abend zuvor angeschaut hatte, und hielt dabei mit seiner Ansicht über den Film oder das Theaterstück nicht hinterm Berg, wodurch sich vielfältige und langwierige Debatten entspannen, an denen sich sogar Hassan, der Laufbursche, beteiligte, während er warme oder kalte Getränke servierte.
Und an anderen unvergesslichen Abenden überraschte Schâkir Sâmija, die gerade die Pflanzen und Blumen in den Töpfen auf dem Balkon goss oder mit ihrer Katze spielte, mit Karten für eine Musik- oder Tanzveranstaltung und bat sie, sich rasch umzuziehen, denn vor der Vorstellung wollten sie noch bei ihren Freunden – Farîd und dessen Verlobter Nagwa – vorbeischauen. Das wiederholte sich regelmässig, und dann gingen die vier sich eine Folkloregruppe ansehen oder ein Gastorchester anhören; hinterher suchten sie ein Lokal im Stadtzentrum auf und tranken je nach Wetter eine kalte Schokolade oder einen köstlichen heissen Kaffee. Damals war Sâmija immer sehr einfach angezogen und hatte möglichst wenig Make-up im Gesicht. Nagwa, in die Farîd seit den Universitätstagen verliebt war, steckte meist indunklen Hosen und trug fast flache Schuhe; so sah sie sehr attraktiv aus mit ihren strahlend intelligenten Augen und ihrem weichen, zum Pferdeschwanz zusammengebundenen Haar, der bei rascher Kopfbewegung hin und her schwang und ihr offenes Wesen zum Ausdruck brachte.
Diese einfachen Gewohnheiten schienen in Schâkirs Augen wie immerwährende Quellen der Freude, die unmöglich je versiegen könnten und die ihn, immer wenn er mit Sâmija allein war, eine einfache Definition für »Glück« finden liessen: Eine Frau an deiner Seite, die deine Liebe und Zuneigung erwidert, ein aufrichtiger Freund, der mit dir Freud und Leid teilt – was braucht’s da sonst noch? Der Genuss, den Seele und Geist an den Freuden verspürten, die Sâmija bot, zog durchs Gehirn ins Herz.
Doch die Tage gingen dahin, und bei Schâkir machte sich nach und nach das Gefühl breit, dass Glück und Freude sich allmählich aus seinem Leben zurückzogen. Ja, er gewann die Überzeugung, dass da heimliche Versuche im Gang waren, ihm die schönen Augenblicke im Leben zu stehlen, ohne dass er die Ursache dafür begriff. Und jedesmal, wenn dieses Gefühl sich wieder bei ihm breitmachte, fiel ihm sofort die Oper ein. Einmal stritt er sich mit einem Taxifahrer, der darauf bestand, während der ganzen Fahrt schnulzige Lieder von einer Tonbandkassette abzuspielen. Ebenso entwickelte er die Angewohnheit, jedesmal mit der Hand nach der Krawatte zu greifen und den Knoten zu lockern, wenn er sich neuerstellte Riesengebäude in der Stadt ansah. Seine Sorge um sich selbst dagegen nahm zu, je mehr er diese seltsame Sehnsucht verspürte, unter dem Laubdach eines Baumes zu schlafen, etwas, das es auf seinem Arbeitsweg nicht mehrgab. Mehr noch, die Abstände zwischen den Malen, da er mit Sâmija
Weitere Kostenlose Bücher