Die einzige Blume im Sumpf - Geschichten aus Ägypten
Geburt bis zur Vollendung ihrer Zeit, kein Geschöpf je berührt hat.
Eines Tages nun betrachtete sich die Blume auf der Oberfläche des brackig-grünen Sumpfwassers – und erbebte. Was sie da sah, entsetzte sie. Ihre Kraft schwand, ihr strahlendes Weiss war nicht mehr. Anzeichen des Welkens und des Vergilbens hatten sich eingeschlichen. Eine grosse Angst und ein grenzenloses Grauen überkamen die Blume. Sie begriff, dass in den kommenden Tagen ihre Duftkraft schwinden würde und dass die Stunden ihres Lebens gezählt waren, dass das Ende mit Riesenschritten näher rückte.
Gern hätte die Blume springen können, laufen, fliegen, weinen, schreien, nicht nur, weil sie den Tod fürchtete, begriff sie doch, dass Blumen ein kurzes Leben haben und der Tod ganz unvermeidlich kommt – aber das erst, nachdem sie Freude geschenkt und Zauber und Schönheit verbreitet haben. Sie aber wartete und wartete, um an diesem abscheulichen Ort zu sterben. Sie würde sterben und ihre Schönheit enden und verschwinden, wie nie gewesen. Sie würde wie jemand, der nicht geschaffen wurde, nicht atmete, nicht wuchs, nicht lebte, eine Existenz, die nie war.
Schwer lastete die Traurigkeit auf der Blume, fast zerriss sie der Kummer. Doch die tiefe Verzweiflung führte sie zu den Höhen der Hoffnung, und die offensichtliche Resignation stiess sie in die Gefilde der Gewissheit, und sie begann sich selbst Mut zuzusprechen: Je schlimmer es wird, desto besser kann’s werden. Und da fing sie an, sich erstaunt zufragen: Würde sich denn ein Schmetterling oder eine Biene die Mühe machen, sich an diesen elenden Ort zu begeben? Würde ein Mensch oder sonst ein Wesen kommen, um in der Welt des tristen, abgelegenen Sumpfs zu leben? Und wem fiele es ein, wegen einer elenden Blume zu kommen, die da in Gesellschaft von Algen, Grillen und einfältigem Sumpfgras dahinvegetiert?
Doch die Blume, die um alles in der Welt bis zum Ende sein wollte, wie Blumen sein sollen, sagte zu sich: Niemals! Ich werde nicht enden im Reich des Unbekannten und von dieser Welt weggehen, als hätte es mich nicht gegeben. Vielmehr werde ich mich die ganze kommende Nacht, von der ich fühle, dass es für mich die letzte in diesem Leben sein wird, auspressen und meinen feinen, anziehenden Geruch verbreiten, um den Sumpfgestank zu überdecken. Dann wird sich mein Duft mit dem Wind und der Brise weithin ausbreiten, bis er einen Blumenfreund oder einen Liebhaber der Schönheit erreicht.
Anfangs sanft und sacht begann der Abend sich zu senken, doch rasch beschleunigte er seinen Tritt, bis sein Arm den Sumpf gänzlich bedeckt hatte und nichts mehr zu sehen war als wundervolle Sterne, die gülden leuchteten und glitzerten am dunklen Firmament. Da blickte die Blume entzückt zu ihnen empor und begann, sich auszupressen und ihren feinen, kräftigen Duft auszuströmen. Mit grosser Anstrengung machte sie das, obwohl sie getränkt war mit dem fauligen, übelriechenden Sumpfwasser.
Die Blume tat kein Auge zu in dieser Nacht und liess nicht nach, sich auszupressen und ihren Duft auszubreiten, sich vereinigend mit dem Gold des Himmels und dem silbernenAntlitz des Mondes, der sein Licht auf sie herabsandte, was ihren Arbeitseifer noch erhöhte und ihr die Überzeugung schenkte, weiter hoffen zu dürfen bei all der Arbeit und Mühe, die sie aufwandte. Die Zeit verstrich, und immer weiter breitete sich ihr Duft aus und überdeckte den abscheulichen Sumpfgestank. Und bald einmal hatte der Duft jeden anderen Geruch dort überlagert. Ja, die kühle nächtliche Brise trug ihn weit fort, überall hin.
Die Nacht hatte fast ihren Lauf vollendet, und die Morgendämmerung machte sich bereit, doch die Blume gab noch nicht auf; sie mühte sich gegen das Verschwinden, kämpfte gegen den Tod, bis sie sich schliesslich völlig ausgepresst und allen Duft aus ihrem zarten Körper verströmt hatte. Als sie nicht mehr konnte, sank sie entkräftet auf ihren Stengel, einsam und fahl, und während sie ganz allmählich dahinging, die Trennlinie zwischen Leben und Tod überschritt, drang das hübsche Geklapper eines Storches an ihr Ohr, der auf seiner nächtlichen Rundreise vor dem Verlöschen der Sterne und dem Verschwinden des Mondes rasch am Himmel vorbeizog. Und während er klappernd den Sumpf überflog, verspürte er einen freudigen Rausch. Wie wundervoll das riecht! jubilierte er. Welch hinreissender Duft an diesem Ort! Hier müssen prächtige Blumen stehen und üppige Bäume. Und während die Blume ins
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