Die einzige Wahrheit
verrückt, George, aber das achtzehnjährige Amisch-Mädchen, das auf der Farm lebt und hoch und heilig geschworen hat, nicht schwanger gewesen zu sein, ist mit Unterleibsblutungen ins Krankenhaus gebracht worden.«
Verblüfftes Schweigen am anderen Ende. Dann: »Lizzie, wann konntest du das letzte Mal jemandem von den Amischen ein Verbrechen nachweisen?«
»Ich weiß, aber die Indizien sprechen gegen das Mädchen.«
»Und, hast du Beweise?«
»Nein, hab ich nicht, aber –«
»Dann finde welche«, sagte George knapp. »Und ruf mich dann wieder an.«
Der Arzt stand neben dem Schreibtisch und erklärte der soeben eingetroffenen Gynäkologin, was sie in der Notaufnahme erwartete. »Klingt ganz nach einer Uterusatonie und Schwangerschaftsrückständen«, sagte die Frauenärztin nach einem kurzen Blick auf die Patientenkarte. »Ich mache noch eine Untersuchung, und dann müßte sie nach oben in den OP zur Ausschabung. Wie geht’s dem Baby?«
Der Notarzt senkte die Stimme. »Es hat nicht überlebt.«
Die Gynäkologin nickte und verschwand dann hinter dem Vorhang, wo Katie Fisher noch immer lag.
Lizzie, die von einer Reihe abgewetzter Plastikstühle aus zugeschaut hatte, stand auf und trat näher. Wenn George Beweise wollte, dann würde sie welche finden. Sie dankte Gott dafür, daß sie Zivil trug – eine uniformierte Beamtin hätte auch nicht die geringste Chance gehabt, ohne richterliche Anordnung irgendwelche vertraulichen Informationen von einem Arzt zu bekommen –, und sprach den Notarzt an. »Verzeihen Sie«, sagte sie und zupfte unruhig an ihrer Bluse herum. »Können Sie mir vielleicht sagen, wie es Katie Fisher geht?«
Der Arzt blickte auf. »Und wer sind Sie?«
»Ich war bei ihr zu Hause, als sie anfing zu bluten.« Das war nicht mal gelogen. »Ich wollte bloß wissen, ob sie wieder in Ordnung kommt.«
Der Arzt nickte und zog die Stirn kraus. »Ich denke, sie wird wieder gesund – aber es wäre sehr viel besser gewesen, wenn sie ihr Baby im Krankenhaus zur Welt gebracht hätte.«
»Doktor«, sagte Lizzie mit einem Lächeln. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin, das von Ihnen zu hören.«
Leda stieß die Tür zum Krankenhauszimmer ihrer Nichte auf. Katie lag schlafend auf dem hohen Bett. In einer Ecke saß Sarah, reglos und leise. Als sie ihre Schwester hereinkommen sah, warf sie sich in Ledas Arme. »Gott sei Dank, daß du da bist«, schluchzte sie.
Leda blickte auf Sarahs Kopf. In all den Jahren, in denen ihre Schwester sich das Haar gescheitelt, es straff gezogen und die Kapp mit einer Hutnadel festgesteckt hatte, war eine Stelle entstanden, die sich mit jedem Jahr weiter ausbreitete, eine Furche, so rosa wie die Kopfhaut eines Neugeborenen. Leda küßte die kleine kahle Stelle, dann trat sie zurück.
Sarah sprach schnell, als hätten sich die Worte in ihr aufgestaut. »Die Ärztin meint, Katie hat ein Kind bekommen. Sie haben ihr Medikamente gegeben, damit die Blutung aufhört. Sie haben sie operiert.«
Leda legte eine Hand auf den Mund. »Genau wie bei dir, nachdem du Hannah bekommen hattest.«
»Ja, aber Katie hatte erstaunliches Glück. Sie wird trotzdem noch Kinder bekommen können. Anders als ich.«
»Hast du der Ärztin von deiner Hysterektomie erzählt?«
Sarah schüttelte den Kopf. »Ich kann die Frau nicht leiden. Sie wollte Katie nicht glauben, als sie gesagt hat, daß sie kein Kind bekommen hat.«
»Sarah, diese englischen Ärzte … die können Schwangerschaften mit Hilfe wissenschaftlicher Untersuchungen feststellen. Solche Untersuchungen lügen nicht – aber vielleicht Katie.« Leda zögerte, wagte sich behutsam weiter. »Ist dir nicht aufgefallen, daß ihre Figur sich verändert hat?«
»Nein!«
Aber Leda wußte, daß das nicht viel zu sagen hatte. Manche Frauen, vor allem großgewachsene wie Katie, konnten eine Schwangerschaft monatelang verbergen. Beim Ausziehen mußte Katie immer allein gewesen sein, und unter ihrer weit geschnittenen Schürze wäre ein anschwellender Bauch schwer zu sehen gewesen. Die fülligere Taille wäre nicht aufgefallen, da die Frauenkleider der Amischen mit Nadeln zusammengehalten wurden, die man leicht umstecken konnte.
»Wenn sie in Schwierigkeiten geraten wäre, hätte sie es mir gesagt«, beteuerte Sarah.
»Und was wäre passiert, sobald sie es dir gesagt hätte?«
Sarah wandte den Blick ab. »Es hätte Aaron umgebracht.«
»Glaub mir, Aaron wirft so leicht nichts um. Und er sollte sich auf einiges gefaßt machen,
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