Die Eisbärin (German Edition)
weg gewesen war. Sie hatte ein paar Sachen mitgenommen.
Niemand schöpfte Verdacht. Und niemand vermisste Elena. Er hatte dafür gesorgt, dass sie nicht mehr auftauchen würde. Nie mehr. Erst Monate später ritzte er das Herz in die Kastanie, mit ihren Initialen. Das war der Anfang.
1
Es gab in dieser Nacht einen vierten Mann. Er stand versteckt hinter einem Baumstamm und beobachtete sie auf Schritt und Tritt. Worüber sie sprachen, konnte er nicht hören. Aber er ließ sie nicht aus den Augen.
Die anderen Männer bemerkten ihren Beobachter nicht. Sie glaubten sich allein, als sie zu dritt durch den Englischen Garten stapften. Es roch nach Schnee, aber der Wetterbericht hatte ihn erst für den nächsten Tag angekündigt. Einer der drei hielt eine Taschenlampe in der Hand und leuchtete damit den Weg ab. Die Lichtkegel tanzten durch die Dunkelheit und schoben kahle Baumstämme bedrohlich in ihren Blick. Alle drei suchten sie nach Spuren.
»Wo woin’s denn die Schrei’ g’hert ham?«, fragte der kleinere der beiden Polizisten den Mann, der neben ihnen herging und sein Fahrrad schob. Er zielte ihm dabei mit seiner Taschenlampe direkt ins Gesicht.
»Hey, das blendet.« Schützend hielt sich Tim Jonas eine Hand vor die Augen. Sein Atem ging stoßweise, und wenn er ausatmete, sah es aus, als würde er rauchen. »Keine Ahnung, hier könnte es gewesen sein. Oder dort vielleicht.« Er deutete in den dunklen Park. »Es war auf jeden Fall voll gruselig.«
Die beiden Polizisten taxierten ihn. Er konnte ihre Gedanken förmlich lesen. So a Zug’roaster, der sich bestimmt nur wichtigmacht , las er in ihren Gesichtern. Wieder traf ihn der Lichtkegel der Taschenlampe. Genervt drehte er sich weg. Er ärgerte sich inzwischen, dass er die Polizei gerufen hatte. Nun musste er sich dumme Fragen anhören. Ob er getrunken oder was geraucht hätte, was er denn hier so spät nachts zu suchen hätte, ob er sich das nicht alles nur eingebildet hätte. Nein, hatte er nicht. »Das war ein Hilferuf!«, wiederholte er wütend. »Scheiße, der ging mir durch und durch.« Er stampfte mit dem Fuß auf.
»Von oanerer Frau?«, fragte der andere Polizist, der den kleineren um zwei Köpfe überragte. »Da san Sie sich ganz sicha?«
»Ja!«, bellte er sie an. Jetzt vergeudete er seit über eine Stunde seine Zeit hier in dieser klirrenden Kälte, statt längst in seinem warmen Bett zu liegen. So eine verdammte Scheiße.
»Mia soit’n moagn bei Dog noamoi herkomma«, schlug der Kleine vor.
Tim verstand kaum noch etwas von dem, was die beiden Uniformierten miteinander besprachen. Als Zugereister war er bisher nicht bis in die Untiefen des bayerischen Dialekts vorgedrungen.
»Ach was, soin se de Kolleg’n doch drum kümmern«, widersprach der andere Polizist. »Mia geh’n. Jetzt find’n mia hia eh nix mehr.« Er wandte sich wieder Tim zu. »Und Sie können auch heim gehen. Wir haben ja Ihre Personalien. Sollten wir noch Fragen haben, melden wir uns bei Ihnen.«
Nichts lieber als das . Tim Jonas schwang sich aufs Rad und fuhr schnell los, bevor sie es sich anders überlegten.
»Schau’ amoi, Felix«, sagte der eine Polizist zu seinem Partner. Er hielt einen Fetzen Stoff in die Höhe. »Was ’n des? Siagt aus wia a … Hemd.« Er hielt es an den schmalen Trägern in die Luft.
»Na ja, dann pack’s hoit ei, Stefan.«
2
Vier Stunden später stand Linda in der Küche und machte sich einen doppelten Espresso. Lukas trottete herein.
»Na, ausgeschlafen?«, fragte sie ihn und grinste verschmitzt. Eine warme Ruhe breitete sich in ihr aus, als sie ihn noch so verschlafen vor sich sah. Ich liebe dich, Lukas , dachte sie.
Lukas zog den Bademantel enger um den Körper und ließ sich schwer auf einen Stuhl fallen. Linda schob ihm ihre Tasse rüber.
»Du hast heute Nacht im Schlaf geredet«, sagte er und sah sie forschend an. »Und gelacht.«
»Echt?« Linda schob die Unterlippe vor. »Ich kann mich nicht erinnern.«
Lukas seufzte. »Ich schon. Ich bin davon aufgewacht. Und dann habe ich ewig gebraucht, um wieder einzuschlafen.«
Sie legte ihren Kopf zur Seite. »Das tut mir leid.«
Lukas atmete hörbar. »Deinen Schlaf möchte ich haben. Dich könnte man nachts wegtragen, du würdest es nicht merken.«
»Schmarrn.« Linda machte sich einen neuen Espresso, trank die kleine Tasse in einem Schluck leer und stellte sie in die Spülmaschine. »So, und jetzt muss ich los.« Sie küsste ihn auf die Nase und wollte gehen.
Lukas hielt sie zurück.
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