Die Eisbärin (German Edition)
stach zu. Immer und immer wieder jagte sie die scharfe Klinge in seinen Körper, versuchte, sein Herz zu treffen. Sie hatte mindestens 15 Mal zugestochen, als plötzlich ein Poltern das Rauschen in ihren Ohren übertönte und in ihr Bewusstsein drang. Augenblicklich ließ sie von ihrem Opfer ab. Dann hörte sie es erneut. Es waren Schritte in der Etage über ihr. Laute, schwere Schritte. Und sie hatten es eilig. Sabine wusste sofort, wer es war und wohin er wollte. Sie schnappte sich den Schocker und preschte aus dem Zimmer, ohne Kohlmeyer noch einmal zu betrachten. Jetzt hatte es keinen Sinn mehr, leise zu sein. Sie erreichte das Wohnzimmer in dem Moment, in dem die Schritte die Treppe hinunterdonnerten. Sie rannte weiter, stieß gegen einen Glastisch und verlor erneut das Gleichgewicht. Im allerletzten Moment gelang es ihr, sich abzufangen. Jetzt hatte Karsten Kohlmeyer ebenfalls das Erdgeschoss erreicht. Sie hörte ihn schreien. Ein wirres, wütendes Gebrüll, keine zehn Meter von ihr entfernt. Die Tür zum Keller stand halb offen. Sabine stieß sie zur Seite und sprang die dunkle Treppe hinab. Sie sah nichts, allein ihre Füße übernahmen die Abtastung der steilen Stufen. Der Überschuss an Geschwindigkeit ließ sie unten an die Wand krachen. Wieder hatte sie Glück, und ihr Gesicht verfehlte das Messer, welches sie immer noch in ihrer Rechten hielt, nur knapp. Sie rappelte sich auf, drehte sich um und lief in Richtung des Kellerraumes, der sie nach draußen führen würde. Sie schrammte an den rauhen Wänden entlang, bis sie den Raum endlich erreichte. Scheppernd flog die Holztür gegen die alten Blechkanister. Sabine rannte durch den Raum und warf sich gegen die letzte Tür. Zusammen mit dem splitternden Holz wirbelte sie ins Freie. Sie hörte das aufgebrachte Gebrüll des Hausbesitzers und stürzte die Außentreppe hinauf. Es war beinahe geschafft, als sie abrutschte und hart mit dem Schienbein gegen die Kante der vorletzten Stufe prallte. Sabine merkte es nicht. Die Synapsen in ihrem Gehirn blockierten jeglichen Schmerz, das Adrenalin machte sie ausdauernd und stark. Sie lief über den Rasen und hechtete durch das Loch im Zaun. Eine Sekunde später war sie wieder auf den Beinen und jagte in den Wald.
***
Christoph Januscheit erhöhte den Einsatz. Nicht allzu weit, denn er wollte, dass Jochen Pfaff mitging. Auf dem Flop hatte er bereits die Straße getroffen, und der Turn brachte eine Dame. Damit lag bereits ein Damenpärchen auf dem Armaturenbrett, doch selbst ein Dreier konnte gegen seine Straße nichts ausrichten. Jochen ging mit und deckte die letzte Karte auf. Herzdame. Nicht zu fassen. Hatte Jochen eine weitere Dame auf der Hand, wäre die Straße gegen den Vierling nichts mehr wert. Christoph erhöhte um drei. Er wollte seinen Partner dazu bewegen, auszusteigen, um sich den bisherigen Pott einzustreichen. Jochen zögerte, dann ging er All-In. Christoph stieß ein verächtliches Schnauben aus und ging mit. 30 Euro lagen jetzt auf der Abdeckung der Mittelkonsole. Jochen grinste und legte seine Karten offen vor sich ab. Christoph kam nicht mehr dazu, sie anzusehen, denn plötzlich flog etwas heran und krachte mit hoher Geschwindigkeit gegen die Seitenscheibe. Er stieß einen spitzen Schrei aus und ließ vor Schreck die Karten fallen. Sein Knie donnerte gegen das Handschuhfach, und die Erschütterung bugsierte den Becher aus seiner Halterung. Heiß und schmerzhaft ergoss sich der Kaffee über seinen Oberschenkel.
„Verdammt“, schrie Jochen, dem der Schreck ebenfalls in die Knochen gefahren war. Es dauerte einen Moment, doch dann war Christoph wieder ganz Polizist. Er stieß die Tür auf und griff an seine Waffe. Er war kaum ausgestiegen, als die Flüche und Beschimpfungen auf ihn niederprasselten.
„Ihr Penner, das gibt’s doch gar nicht!“, schrie ein völlig aufgebrachter Karsten Kohlmeyer. „Ruft einen Notarzt! Er stirbt! Scheiße! Er ist durch den Keller abgehauen!“ Er drehte sich um, schrie über die Schulter: „Sucht den verdammten Wald ab!“, und rannte zurück zum Haus.
Im Bruchteil einer Sekunde hatte Januscheit begriffen.
„Ruf den Notarzt“, wies er Pfaff an, dann sprintete er los und folgte Kohlmeyer ins Haus.
Er hatte in 14 Jahren Polizeidienst fast alles gesehen. Kaum eine Abscheulichkeit, eine grausame Szenerie, die ihm noch neu gewesen wäre. Doch das, was ihn in diesem Zimmer erwartete, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Karsten Kohlmeyer kniete neben dem Bett,
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