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Die Eisbärin (German Edition)

Die Eisbärin (German Edition)

Titel: Die Eisbärin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Gereon
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Niemals habe er ihnen weh tun wollen. Er habe damals den größten Fehler seines Lebens begangen.
    Plötzlich hielt er inne. Irgendetwas hatte sich in seinem Traum verändert, ein winziges Detail. Er kam nicht darauf, was es war, aber er spürte die verstörende Veränderung ganz deutlich. Er wollte gerade weitersprechen, als es ihm schlagartig klarwurde. Es waren die Gesichter seiner Kinder, eine minimale Veränderung in ihrem Ausdruck. Er zwang sich, genauer hinzusehen. Dann lief es ihm kalt den Rücken herunter. Ihre Augen. Zum ersten Mal in all den Jahren starrten sie ihn nicht mehr an, sondern blickten über ihn hinweg. Sie fixierten irgendetwas hinter seinem Rücken. Als er die nächste Beobachtung machte, glaubte er zu zerspringen. Er sah Tränen in Evas Augen steigen, während sich ihr Mund zu einem schmalen Lächeln verzog.
    Jürgen Kohlmeyer erwachte mit donnerndem Herzklopfen und öffnete die Augen. Die Kinder waren verschwunden, doch er war noch immer wie elektrisiert. Er zwang sich zur Ruhe und gab acht, sich nicht zu bewegen. Fieberhaft suchte er nach einem Anhaltspunkt, nach dem kleinsten Hinweis im Raum. Sein Blick streifte das Fenster, glitt zurück und fixierte die Scheibe. Er glaubte, eine menschliche Silhouette darin zu erkennen, und er glaubte, dass diese langsam näher kam. Dann spürte er die minimale Erschütterung seines Bettes in seinem Rücken. In diesem Moment wusste er Bescheid. Seine Kinder hatten ihn gewarnt. Nicht in aller Deutlichkeit, aber sie hatten ihm einen Hinweis gegeben, und er hatte ihn verstanden. In einer Explosion seiner Muskeln wirbelte Jürgen Kohlmeyer herum und schleuderte dem Eindringling seine Faust entgegen.
    Er glühte vor Wut und Zorn. Nicht, weil ihm jemand nach dem Leben trachtete, sondern weil er es ausgerechnet in dieser Nacht tat.
    ***
    Die Bewegung kam derart überraschend, dass der Schrei in ihrer Kehle erstarb, bevor er entstehen konnte. Die Faust hatte ihr Gesicht um wenige Zentimeter verfehlt, nur der Luftzug streifte ihre Wange, hart und kalt wie Eis. Sie taumelte einen Schritt zurück und wusste im selben Augenblick, dass es um ihr Leben ging. Wieder. Ihre Emotionen gerieten völlig außer Kontrolle. Der Hass auf diesen Mann, die Wut auf sich selbst, die Liebe zu ihrer Tochter, alles entlud sich auf einen Schlag und explodierte in einem Feuerball der Gefühle, der sie blind, stumpf und rasend machte. Ihre Waffen noch immer in beiden Händen, stürzte sie sich auf Kohlmeyer, der gerade im Begriff war, die Decke von seinem Körper zu reißen. Als er den neuerlichen Angriff bemerkte, schlug er wie wild auf sie ein, und Sabine ahnte, dass ein einziger Treffer genügen würde, um ihr das Bewusstsein zu rauben. Doch sie war schnell. Mit der rechten Hand lenkte sie eine hervorschnellende Faust Kohlmeyers zur Seite, verlor dabei jedoch ihr Gleichgewicht. Sie taumelte dem Mann ein Stück entgegen und sah seinen linken Schwinger erst im letzten Moment. Mit all ihrer Kraft riss sie den linken Arm schützend vor ihren Kopf und hoffte, den Schlag zu überleben. Sie wartete auf den Knall an ihrer Schläfe, doch er blieb aus. Stattdessen spürte sie, wie das Messer in ihrer Hand auf einen Widerstand traf. Kohlmeyer stöhnte auf. Sabine nutzte die Gelegenheit des Augenblicks, um sich abzustoßen. Die Klinge hatte seinen Unterarm der Länge nach aufgeschlitzt. Ruckartig riss sie das Messer aus seinem Fleisch und wich im nächsten Moment seiner rechten Hand aus, die sie zu packen versuchte. Sabine wusste, dass sie jetzt alles in einen Versuch legen musste. Die Zeit drängte, jederzeit konnte jemand hinter ihr auftauchen und Kohlmeyer zu Hilfe eilen. Sie presste den Elektroschocker noch fester in ihre Hand und stieß das Gerät in einer blitzartigen, geraden Bewegung nach unten. Sie hatte das Ziel fast erreicht, als etwas mit großer Wucht gegen ihren Unterkiefer knallte, kurz und heiß wie eine Stichflamme. Kohlmeyer war es irgendwie gelungen, mit seiner Linken eine weitere Attacke gegen sie zu führen. Sabine verdrängte den Schmerz. Mit einer letzten, großen Anstrengung überwand sie die Körperkraft ihres Widersachers und presste das Gerät an seinen Hals. Durch die Handschuhe wäre sie beinahe abgerutscht, doch dann fanden ihre Finger den Auslöser und jagten über 10 000 Volt in seinen Körper. Augenblicklich erstarb jegliche Gegenwehr, und Kohlmeyer fiel zuckend zurück auf das Bett.
    Sabine war jetzt wie im Rausch. Sie wechselte das Messer in die rechte Hand und

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