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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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konnte. Aber wie sollte
sie es anstellen, dass Oddný Hildurs Leiche
schnellstmöglich entdeckt wurde? Füchse oder andere Tiere
durften die Leiche auf keinen Fall aufspüren, während sie
darauf wartete, dass die Polizei zufällig irgendwann einmal an
der Rückseite des Hauses vorbeiging. Sie hatten bereits die
gesamte Umgebung abgesucht und würden das Spiel bestimmt nicht
grundlos wiederholen. Als Dóra die Schuhe auszog, wusste
sie, was sie zu tun hatte – aber verlockend war es nicht
gerade.
    »Kein Kaffee?« Alvar
schaute Dóra verwundert an, als sie zurück in den
Konferenzraum kam. 
    »Äh, ich hab mich
umentschieden. Ich fand es auf einmal unmöglich, die Polizei
zu stören. Die sind bestimmt mit wichtigen Dingen
beschäftigt und werden nur sauer. Sie haben uns ja nicht
vergessen. Es kommt bestimmt bald jemand mit Essen und
Getränken.« Sie presste ein Lächeln hervor und
setzte sich neben Matthias, der immer noch schnarchte.
    Friðrikka und
Eyjólfur schwiegen, während die Zeit vorankroch. Eine
Viertelstunde später ging das Flutlicht wieder an. Dóra
zuckte zusammen. Zum Glück schien niemand ihre Reaktion zu
bemerken außer Bella, die die Augenbrauen hob, aber dann
weiter Patience legte. Nach einer guten halben Stunde tat
Dóra so, als würde sie lauschen. »Was war das?
Habt ihr das gehört?« Sie schaute sich um und hoffte,
dass ihr Schauspiel auf die anderen nicht ganz so gekünstelt
wirkte, wie es ihr vorkam.
    »Was?«
Eyjólfur war der Einzige, der aufmerksam wurde und aufstand.
Alvar hob nur teilnahmslos den Kopf, stand dann aber auch
auf.
    »Da war ein Geräusch
im Flur oder hinter dem Haus.« Dóra erhob sich.
»Ich sehe mal nach.« Sie gähnte scheinbar
gleichgültig und ging in den Flur. Alvar und Eyjólfur
folgten ihr. Matthias und Finnbogi schliefen, Bella war so in ihre
Patience vertieft, dass sie keine Lust hatte aufzustehen,
Friðrikka war immer noch beleidigt. Dóra schaute im Flur
nach rechts und links und ging dann geradewegs in das offen
stehende Büro gegenüber. Sie trat ans Fenster und schaute
hinaus. Jetzt kam es auf ihr Schauspieltalent an. Eyjólfur,
der sich neben sie ans Fenster drängte, rettete sie in letzter
Sekunde.
    »Mein Gott!« Er
zuckte zurück. »Was zum Teufel ...?«
    Dóra betrachtete
schweigend Oddný Hildurs Leiche, die zwischen dem
Bürogebäude und dem Wohntrakt bäuchlings im Schnee
lag. Sie trug einen großen, grellgelben Anorak, eine
Pelzmütze und Fellstiefel. »Um Himmels willen! Wer ist
das?« Dóras Blick wanderte von der Leiche zu
Eyjólfur, der bleich neben ihr stand. »Ist das
Oddný Hildur?«
    Der junge Mann schüttelte
den Kopf. Sein erwachsener Gesichtsausdruck war verschwunden; er
sah jetzt wieder jünger aus, als er eigentlich war. »Das
ist Arnar. Was um Himmels willen geht hier eigentlich
ab?«

31.
Kapitel
    23. März 2008
    Arnar konnte sich nicht
entscheiden, ob er eine Therapie an den Entzug anschließen
oder zurück nach Hause gehen sollte. Beides war nicht
verlockend. Zu Hause erwartete ihn niemand, und wenn er trocken
blieb, dann wegen seines Durchhaltevermögens, aber nicht durch
eine Therapie.
    »Wie geht es dir?«
Der Therapeut war hinter ihn getreten, ohne dass Arnar es gemerkt
hatte. Er war ganz in seine Gedanken vertieft gewesen, die sich
immer im Kreis drehten. »Ich will dich ja nicht drängen,
aber du wirst bald entlassen und solltest dich nicht erst in der
letzten Minute entscheiden. Das geht nie gut.« Immerhin war
der Mann freundlich, das musste man ihm lassen, aber es nervte
Arnar, dass er ihn wie ein Kind behandelte.
    »Ich weiß.«
Arnar blieb sitzen. Er fand es unerträglich, am helllichten
Tag Schlafanzug und Bademantel tragen zu müssen, und wenn er
aufstand, fiel dieser bizarre Aufzug noch mehr ins Auge. »Ich
glaube, ich gehe zurück nach Hause.«
    »Hältst du das
für ratsam?« Der Mann lächelte Arnar, der seinem
Blick auswich, gutmütig an. »Viele glauben, sie
könnten von ihrer Erfahrung aus der letzten Therapie zehren
und sich eine neue sparen, aber das ist nur selten der
Fall.«
    Plötzlich tat sich ein
Ausweg aus dem Gedankenkreislauf auf, und Arnar fällte eine
Entscheidung. »Ich gehe nach Hause. Das ist meine
endgültige Entscheidung.«
    Der Therapeut nahm Arnar
gegenüber Platz. Er versuchte, ihm tief in die Augen zu
schauen, so als könne er dadurch Kontakt zu seinem Inneren
aufnehmen. »Heute hat jemand für dich
angerufen.«
    Arnars Herz zog sich zusammen.
Der Mann sprach so vorsichtig, dass das nichts

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