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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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Gutes bedeuten
konnte. Was hatte er denn geglaubt? Dass nichts von all dem, was
passiert war, an die Oberfläche dringen und das Leben einfach
weitergehen würde? Arnar blinzelte, fasste sich dann wieder
und starrte zurück, so als hätte er nur etwas ins Auge
bekommen. »Und?« Er versuchte, seine Nervosität zu
verbergen.
    »Tja, da es sich um etwas
Ernstes handelt, wurde beschlossen, es dir noch nicht mitzuteilen.
Wenn man versucht, wieder ins innere Gleichgewicht zu kommen, sind
solche Dinge sehr störend.« Der Mann räusperte sich
betreten. »Ich wollte dir das nur sagen, damit du vielleicht
deine Meinung änderst. Du wirst Unterstützung brauchen,
und die können wir dir nicht geben, wenn du zu Hause bist.
Dramatische Ereignisse sind schwer zu
verarbeiten.«
    Arnar hätte dem Therapeuten
am liebsten weitere Infos entlockt, indem er ihn einfach anschwieg,
aber das war zu riskant. Er musste unbedingt mehr darüber
erfahren. »Was für Ereignisse? Wer hat denn
angerufen?« 
    »Ein Polizist aus
Grönland. Und dann noch eine isländische Anwältin,
die wollte dich unbedingt sprechen. Normalerweise blocken wir so
was ab, aber wenn die Polizei im Spiel ist, sieht die Sache
natürlich anders aus.« Der Mann versuchte vergeblich,
aus Arnars Gesichtsausdruck etwas herauszulesen. »Wenn die
isländische Polizei mit unseren Patienten sprechen will,
müssen wir das zulassen, auch wenn es uns gegen den Strich
geht. Aber das ist das erste Mal, dass ein ausländischer
Polizeibeamter mit einem unserer Patienten reden will. Wir
müssen uns noch überlegen, wie wir darauf reagieren. Der
Mann wurde erst mal an seine isländischen Kollegen verwiesen.
Ich habe nicht persönlich mit ihm gesprochen, ich sage dir
nur, was ich gehört habe.«
    »Wie hieß die Frau
und was wollte sie?« Arnar wusste genau, was die Polizei
wollte, aber er hatte keinen blassen Schimmer, welche Absicht diese
Anwältin haben könnte. Vielleicht war der Markt
inzwischen so hart umkämpft, dass sich Anwälte auf diese
Weise an Leute heranmachten, die ganz tief in der Scheiße
saßen. »Sie meinte, es hätte mit deinem
Arbeitsplatz zu tun. In Grönland.« Der Mann musterte ihn
neugierig. »Du hast doch da drüben gearbeitet,
oder?«
    »Ja.« Arnar
würde ihm bestimmt nicht alles beichten, aber er musste mehr
über diese Frau in Erfahrung bringen. »Hat sie ihren
Namen und ihre Telefonnummer hinterlassen?«
    »Hm.« Der Mann
schien die Kontaktdaten nicht aus der Hand geben zu wollen.
»Ich halte es nicht für ratsam, dass du diese Leute
sofort kontaktierst. Lass sie mal ihre Nachforschungen machen, und
wer weiß, vielleicht ist das gar nichts Ernstes, das sich
auch ohne deine Hilfe klären lässt.« Der Mann
setzte sich auf seinem Stuhl zurecht. »Und wenn du
darüber reden willst ... es bleibt alles unter
uns.«         
    »Nein, aber trotzdem
danke.« Arnar wollte nicht undankbar erscheinen. Der Mann
hatte keine böse Absicht, er war nur neugierig, so wie andere
auch. Ein Patient, der in eine polizeiliche Ermittlung verwickelt
war und über andere Themen reden konnte als deprimierende
Besäufnisse, war bestimmt eine Abwechslung für ihn.
»Das ist wahrscheinlich ein Missverständnis. Aber die
Frau könnte was mit meinem Job zu tun haben, ich muss mit ihr
sprechen.« Arnar war sich sicher, dass sie nur indirekt mit
seinem Job zu tun hatte, und zwar durch die Geschehnisse im Camp.
»Ich brauche ihre Kontaktdaten.«
    Der Mann öffnete den Mund
leicht, und seine rosa Zungenspitze blitzte auf. Erst schien er
Arnar weiter bedrängen zu wollen, aber dann gab er auf.
»Am Empfang liegt ein Zettel. Wenn du mitkommst, können
wir ihn holen.« Der Mann stand auf, und sie gingen gemeinsam
in die erste Etage. Arnar musste warten, während der Therapeut
den Entzugsbereich verließ. Kurz darauf kam er mit einem
gelben Zettel zurück, den er ihm zögernd reichte.
»Ich rate dir eindringlich dazu, dich für die Therapie
anzumelden. Denk dran, dass du noch lange nicht gesund
bist.«
    Wortlos nahm Arnar den Zettel
entgegen. Dann verabschiedete er sich von dem Mann und ging wieder
nach unten. Seit er zum Schein telefoniert hatte, um von den
Therapeuten in Ruhe gelassen zu werden, hatte er Kleingeld in der
Tasche. Er steckte ein Fünfzigkronenstück in den
Geldschlitz und wählte die Handynummer von Dóra
Guðmundsdóttir. Arnar hatte noch nie von ihr
gehört, aber es würde ihm vielleicht später
zugutekommen, wenn er sie ein bisschen aushorchte. Es konnte

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