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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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weiß,
ist unklar, woran seine Schwester gestorben ist. Sie wurde fernab
vom Dorf in einem Steingrab bestattet.«
    »Naruana hat niemanden
getötet, das kann die Polizei doch nicht glauben. Er ist sehr
sensibel. Er kann sich nicht vernünftig verteidigen und
läuft Gefahr, unschuldig verurteilt zu
werden.«
    »Ich kenne den Mann nicht,
aber ich stimme dir zu, dass er damit wahrscheinlich
überfordert ist. Er saß mit uns im Hubschrauber und sah
schrecklich aus. Wenn er in eine größere Ortschaft
gebracht worden ist, bekommt er bestimmt einen Pflichtverteidiger.
Ich weiß nicht, ob sie ihn nach Angmagssalik oder Nuuk
bringen, aber sie werden ihn wohl kaum auf dem Flughafen oder im
Hotel weiterverhören.«
    »Das ist ein absolutes
Missverständnis, das musst du der Polizei sagen! Naruana ist
Alkoholiker und könnte niemals einen Mord planen. Der hat
genug mit seinen eigenen Problemen zu tun!«, stieß
Arnar hervor. »Der Tod seiner Schwester ist ihm sehr
nahegegangen, er hatte keinen Einfluss darauf, wo sie bestattet
wurde, das hat sein Vater entschieden. Der hat den Platz
ausgewählt. Ich kenne Naruana gut, ich hab versucht, ihm dabei
zu helfen, seine Alkoholsucht in den Griff zu bekommen. Er
könnte nie jemanden umbringen. Er hat sogar aufgehört zu
jagen, weil er so fertig war und nicht nüchtern bleiben
konnte. Und es ist ja wohl wesentlich schwieriger, einen Menschen
zu töten als ein Tier.«
    »Aber die Polizei braucht
stichhaltige Beweise, wenn dein Freund gerettet werden soll.
Hoffentlich ist er wirklich unschuldig und will, dass die Wahrheit
ans Licht kommt.«
    »Und wenn die Wahrheit
nicht ans Licht kommt?«
    »Ich kenne das
grönländische Justizsystem nicht, aber er würde
vermutlich eine Gefängnisstrafe bekommen. Unmöglich zu
sagen, wie lange.« Jetzt war es langsam an der Zeit, dass der
Mann ihre Fragen beantwortete. »Warum waren Usinnas Knochen
in den Büros verteilt?«
    »Das war mal wieder
typisch für das, was im Camp abging.« Arnar schien froh
zu sein, über etwas anderes reden zu können. »Sie
haben überlegt, was sie mit den Knochen machen sollen. Die
Dorfbewohner wollten mit niemandem darüber
reden.«
    »Warum hast du nicht mit
Naruana oder Oqqapia gesprochen? Du kanntest sie
doch.«
    »Ich wollte nicht, dass
die anderen mitkriegen, dass ich an meinen freien Tagen ins Dorf
fahre. Das geht sie nichts an. Ich habe erst gestern von Naruana
erfahren, dass die Knochen von seiner Schwester stammen. Ich hab
die ganze Sache damals nicht so mitverfolgt, ich dachte, dass die
Knochen von irgendwem stammen, der schon lange tot ist, und dass
die Dorfbewohner auch nichts darüber wissen, deshalb hab ich
mich nicht weiter darum
gekümmert.«        
    »Du weißt also
nicht, wie die Knochen in den Schreibtischschubladen gelandet
sind?« 
    »Doch, das weiß ich,
leider.« Arnar schwieg einen Moment, sprach aber weiter, als
Dóra nichts sagte. »Die meisten waren scharf auf den
Schädel und haben darüber diskutiert, wer ein Anrecht auf
ihn hätte – derjenige, der das Grab entdeckt hat, oder
derjenige, der die Steine weggeräumt hat, oder derjenige, der
die Felltasche zuerst gesehen hat, und so weiter. Es war ekelhaft.
Ich war der Einzige, der die Knochen nicht haben wollte. Ich fand
das Ganze total geschmacklos.«
    »Und Friðrikka und
Oddný Hildur? Wollten die die Knochen auch
haben?«
    »Oddný Hildur war
schon verschollen, und Friðrikka hatte gekündigt. Das war
im Januar. Am Ende haben sie beschlossen, die Knochen zu verlosen
– Bingo.«
    »Knochenbingo?«
    »Das Ganze sollte beim
þorrablót stattfinden, das Programm wurde gerade
vorbereitet. Wenn ich’s richtig verstanden habe, war das
Bingo der Höhepunkt des Abends. Ich war nicht dabei, ich hab
nie mitgefeiert. Meistens bin ich noch nicht mal eingeladen worden,
aber es hätte mich sowieso nicht
interessiert.«
    Dóra tat der Mann leid,
aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um über Mobbing
zu sprechen. »Die Knochen wurden also beim Bingo
verlost?«
    »Ja. Der Schädel war
der Hauptgewinn, die anderen Knochen sind auf Haufen verteilt
worden. Es haben bei weitem nicht alle was gewonnen. Bjarki und
Halldór sind zum Beispiel leer ausgegangen und waren
stinksauer. Sie hätten am liebsten das ganze Skelett
behalten.«
    »Verstehe.«
Dóra wusste nicht, wie sie dieses merkwürdige
Gespräch fortführen sollte. Das war zumindest die
Erklärung für den kleinen Zettel, der unter dem
Schädel gelegen hatte: G-57. »Aber wenn dein

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