Die Eiserne Festung - 7
uns gewarnt hat, ist die Wahrheit nicht immer leicht zu ertragen. Die Wahrheit findet ihren Weg nicht immer in einem Gewand zu uns, das uns genehm ist. Sie sagt uns nicht immer, dass wir uns richtig verhalten haben, dass jemand anderes Fehler gemacht hat. Und die Wahrheit ist auch nicht immer ohne Gefahren. Sie verlangt viel von uns, und sie duldet keine Selbsttäuschung. Wenn wir von einem Baum fallen, können wir uns eine Prellung zuziehen oder eine Verstauchung. Aber wir können uns auch einen Arm oder ein Bein brechen ... oder den Hals. Wenn wir nicht zu Zeiten des Friedens Gottes Wort achten, wenn wir Seine Wahrheit in friedvollen Zeiten ignorieren, dann müssen wir sie eben in Zeiten des Sturms erkennen. Er wird uns Seine Wahrheit in jedweder Form senden, die Er für richtig hält, um uns - Seine dickköpfigen eigensinnigen Kinder, die nur mit sich selbst beschäftigt sind - dazu zu bringen, sie zu hören. Und die Form, die Er wählt, mag jede Gestalt annehmen: fremde Kriegsschiffe, fremde Schwerter und Bajonette, selbst ketzerische Priester, die man uns mit vorgehaltener Klinge eines fremden Herrschers aufzwingt.«
Immer noch herrschte völlige Stille in der Kirche. Zweifellos hörten alle aufmerksam zu. Doch hatte sich die Stille verändert. Sie war ... unnachgiebiger, angespannter. Sie war wachsam und vorsichtig, schien den Atem anzuhalten, als hätte die Gemeinde, die für diese Stille sorgte, verstanden, dass ihr Priester etwas aussprechen würde, was ihm zuvor niemals gestattet gewesen war.
»Die Heilige Bédard lehrt uns in der heutigen Lesung, dass Mutter Kirche nicht im Dienste der Menschen steht. Dass sie nicht verderbt und missbraucht werden darf, um eitlem, korruptem, weltlichem Ehrgeiz dienlich zu sein. Dass es gilt, sie ohne Schmutz und Makel zu halten. Wir alle wollen nicht glauben, sie könnte jemals makelbehaftet sein. Wir alle wollen nicht glauben, Gott könnte zulassen, dass Seine Kirche dem Bösen anheim fällt. Wir wollen nicht, dass Seine große Lampe irgendwann nicht mehr Quelle des Lichtes ist, sondern Quelle der Finsternis. Voller Zorn schreien wir auf, wenn uns jemand zu sagen wagt, unser Wunsch sei vergebens. Jene, die uns derartige Dinge zu sagen wagen, jene, die es wagen auszusprechen, dass Mutter Kirche derartige Dinge widerfahren können, bedenken wir mit jeder Schmähung, die uns nur einfallen will - Gotteslästerer, Ketzer, Abtrünniger, Gottloser, von Gott Verfluchter, Diener der Finsternis, Brut Shan-weis, Kind des Bösen ... diese Aufzählung könnte endlos weitergehen. Und doch, so sehr es mich schmerzt, das auszusprechen, so bittere Tränen mein Herz auch vergießen mag, es waren nicht die Ketzer, die uns angelogen haben. Es ist nicht die Kirche von Charis, die zur Handlangerin Shan-weis geworden ist.
Es ist Mutter Kirche.«
Ein tiefes, heiseres Stöhnen ging durch die ganze Kirche, beinahe schon Protest. Es kam aus tiefster Seele, war voller Schmerz. Niemand aus der Gemeinde aber fand die Worte, jenem Protest auch Gestalt zu verleihen. Niemand widersprach. Niemand aus der Gemeinde wies zurück, was ihr Priester gerade ausgesprochen hatte. Dass dies nicht geschah, dass der Protest sich nicht in Worte kleiden ließ - dass Trauer durch das Aufstöhnen sprach, nicht durch Leugnen -, verriet Tymahn Hahskans sehr viel über seine Gemeinde.
Tränen brannten ihm in den Augen, als er spürte, wie innere Not an den Herzen und Seelen seiner Zuhörer riss. Als er ihre Trauer spürte, die Furcht nicht nur vor dem, was er ihnen bereits dargelegt hatte, sondern vor dem, was, wie sie genau wussten, noch kommen musste, da wusste Tymahn, dass ihr Entsetzen der Vorläufer dazu war, die Wahrheit zu akzeptieren.
»Ich bin nicht der einzige Priester im Dienste von Mutter Kirche, der schon seit langem gegen ihre Unterdrückung aufzubegehren wünscht«, fuhr Hahskans fort. »Ich bin nicht das einzige ihrer liebenden Kinder, das mit eigenen Augen die Korruption gesehen hat, das sah, wie diese Korruption tief in ihrem Herzen wuchs und wucherte. Es gibt mehr von uns, als ihr vielleicht jemals vermutet hättet, und doch hat man uns zum Schweigen verdammt. Wir durften niemandem davon berichten, mit eigenen Augen gesehen zu haben, wie dieser Makel wuchs und der Zylinder von Gottes Lampe immer weiter beschmutzt wurde. Wir mussten vorgeben, nicht gesehen zu haben, wie weltliche Macht und Reichtum, Pomp und weltlicher Prunk manchen Kirchenfürsten immer wichtiger wurden, die doch die Aufgabe hatten,
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