Die Eiserne Festung - 7
›ignorieren‹ das Einzige war, was seine Gemeinde tat.
Wenigstens hatten Erzbischof Klairmant und Bischof Kaisi ihm, Tymahn, ihre Unterstützung zugesichert, falls - oder: sobald - es unschön zu werden drohte. Der Tenor der heutigen Predigt unterschied sich deutlich von Bischof-Vollstrecker Thomys' Haltung zu dem behandelten Thema. Aber die Predigten der beiden neuen Kirchenherren schlugen selbst schon genug Wellen. Ob sie also in der Lage wären, die Wogen zu glätten, sollte er, Tymahn, in schwere See geraten, bliebe dahingestellt. Höchstwahrscheinlich gäbe es reichlich ›unschöne Momente‹, ehe Kirche und Gemeinden wieder in den sicheren Hafen einlaufen würden.
Sofern das überhaupt möglich war.
Pater Tymahn ging in diesem Augenblick auf, dass die Heilige Schrift nie den sicheren Hafen versprach.
Das Lied, das der Chor zu Beginn der Kollekte angestimmt hatte, näherte sich seinem Ende. Hahskans hob die Hand und schlug das Zeichen des Szepters von Langhorne.
»Erhebet die Herzen, meine Kinder!«
Die vertrauten, mit Inbrunst geliebten Worte der Liturgie flossen ihm über die Lippen, kaum dass nach dem Chor auch der letzte Ton der Orgel verklungen war. Trotz der Stille in der Kirche klang seine Aufforderung sanft. Das Tröstliche dieser Worte stärkte Tymahn; seine Stimme gewann an Kraft.
»Wir erheben die Herzen zu unserem Herren und zu den Erzengeln, die Ihm dienen.«
Einstimmig antwortete die Gemeinde ihm; der Nachhall erfüllte das Gotteshaus wie fernes Donnergrollen bis hinauf zu den vom Alter geschwärzten hölzernen Tragbalken der Decke.
»Lasset uns nun danken dem Herrn, unserem Gott, der uns geschaffen hat, und Langhorne, der sein Diener war, ist und auf ewig sein wird«, fuhr er fort.
»Das ist würdig und recht.«
Nicht allein die zusätzlichen Stimmen der ungewohnt großen Gemeinde verliehen der Antwort mehr Nachdruck als gewöhnlich. Es war die Inbrunst, mit der diese Worte gesprochen wurden. Die Gläubigen sehnten sich nach Trost und Gemeinschaftsgefühl, wie eine Messe sie gemeinhin spendete. So waren heute die Worte nicht Formeln einer allzu vertrauten Liturgie. Sie waren der Erkenntnis geschuldet, dass sie alle hier, versammelt im Namen Gottes als seine Kinder, in diesen Zeiten die sprichwörtliche stürmische See würden durchfahren müssen. Die Angst der Gläubigen war spürbar, und - wie stets - wandten sie sich Mutter Kirche und ihrem Klerus zu, um Trost und Führung zu finden.
»In Wahrheit ist es würdig und recht und zugleich auch unsere Pflicht und Schuldigkeit, Dir immer und überall zu Danken, o Herr, Schöpfer der Welt und des Weltalls, Ewiger Gott. Darum loben und preisen wir Deinen ruhmreichen Namen, zusammen mit denen Erzengels Langhorne und Erzengels Bédard, für immer wollen wir Dich preisen und sagen ...«
»Heilig, heilig, heilig!«, erwiderte die Gemeinde. Ihre Stimmen vereinten sich mit der ihres Hirten. »Herr der Heerscharen, Himmel und Erde sind voll Deiner Gnade. Ehre sei Dir, o Herr. Amen.«
»Amen«, sagte Hahskans leise in die Stille, die auf die Erwiderung der Gemeinde folgte und lächelte, als ihn wieder die Seelenruhe umfing, die mit seinem Amt einherging.
Alles ist gut, dachte er. Was auch immer geschehen mag, wohin auch immer es uns führt, alles ist gut, solange nur Du bei mir bist.
»Setzt euch, meine Kinder!«, forderte er die Gemeinde auf. Man hörte das Scharren zahlloser Füße, und Kleider raschelten, als Männer, Frauen und Kinder in den Sitzbänken seiner Aufforderung nachkamen. Selbst durch die Menge, die stand, ging eine Bewegung: Man lehnte sich an Säulen oder Steinwände, suchte sich eine bequemere Körperhaltung. Und doch war die Entspannung der Gemeinde in vielerlei Hinsicht rein körperlich: Es war nur das Entspannen von Muskeln und Sehnen, damit sich Verstand, Herz und Seele noch besser auf das konzentrieren konnten, was nun folgen würde.
Hahskans lächelte und schritt zur Kanzel hinüber. Dort schlug er das schon bereitliegende Missale auf, einen gewaltigen Folianten. Das herrliche Exemplar mit allen liturgischen Texten des Kirchenjahres war einer der Schätze von Sankt Kathryn. Es war das Geschenk einer der wenigen wirklich wohlhabenden Familien der Gemeinde, im Andenken an geliebte Eltern gestiftet. Das war drei Jahre vor der Geburt von Hahskans Vater geschehen. Schon damals musste diese Ausgabe ungefähr das Doppelte von Hahskans jährlichem Gehalt gekostet haben. Denn es war keine gedruckte Standard-Ausgabe, sondern
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