Die Eiserne Festung - 7
von Hand geschrieben und illuminiert. Es besaß herrlichen Bildschmuck, so genannte Miniaturen etwa an den Rändern und innerhalb der Kolumnen, der Spalten, in die der Text auf der großen Seite unterteilt war. Aber daneben fanden sich auch ganzseitige Miniaturen, ganz zu schweigen von prachtvollen Initialen (der Bildschmuck der hervorgehobenen Anfangsbuchstaben bestand teils aus textbezogenen figürlichen Darstellungen, teils aus ornamentalen Verzierungen). Der edelsteingeschmückte Ledereinband und die dicken Pergamentseiten hatten sich mit dem Duft von Kerzenwachs und Weihrauch vollgesogen. Als Hahskans nun das Missale aufschlug, stieg ihm dieser Duft in die Nase, als wäre es Gottes ureigenster Duft. Tief und genießerisch atmete der Priester durch, bevor er den Blick wieder auf die wartende Gemeinde richtete.
»Die heutige Lesung stammt aus dem fünften Kapitel des Buches Bédard, beginnend mit dem neunzehnten Vers«, erklärte er den Männern und Frauen, die ihn alle erwartungsvoll anblickten, sich von den heiligen Texten Kraft und Trost versprachen. Vielleicht war es ein gutes Omen, dass die heutige Lesung aus dem Buch des Schutzheiligen seines eigenen Ordens stammte.
»Denn seht«, las er, »ich verkünde euch eine große Wahrheit, würdig aller Menschen und dem Herren geheiligt. Höret und achtet sie, denn am Letzten Tage wird einem jeden von euch Rechenschaft abverlangt werden. Die Kirche ward von Gott und dem Gesetz Langhornes geschaffen, um der Hüter und der Lehrer der Seelen aller Menschen zu sein. Die Kirche soll nicht dem Willen des Menschen dienen, noch soll sie dem eitlen Ehrgeiz der Menschen unterworfen sein. Sie ward nicht geschaffen, um den Menschen zu lobpreisen, noch soll sie vom Menschen benutzt werden. Sie ward nicht ins Leben gerufen, auf dass dieses Leben missbraucht werde. Sie ist das große Leuchtfeuer, Gottes eigenes Licht, aufgestellt auf dem mächtigen Hügel Zions, auf dass sie Seine Majestät und Seine Macht verbreite, auf dass sie der ganzen Welt das Licht Gottes spende und die Schatten der Finsternis vertreibe. Achtet, dass ihr den Zylinder jener Lampe rein und heilig haltet, sauber und makellos, frei von Schmutz und Flecken. Besinnt euch des Gesetzes, das euch gegeben ward, des Willen Gottes, der euch den Weg zu Ihm weisen wird, und alles wird gut sein für euch und eure Kinder und eure Kindeskinder, bis zur letzten Generation, da ihr Ihn und uns, die wir Ihm dienen, von Angesicht zu Angesicht schauen werdet im Wahren Licht, das kein Ende hat.«
Hahskans blickte auf. Die Stille in der Kirche war ungleich mächtiger geworden, und er lächelte.
»Dies ist das Wort Gottes an die Kinder Gottes«, erklärte er ihnen.
»Dank sei Gott und den Erzengeln, die Ihm dienen«, erwiderte die Gemeinde. Hahskans schloss das kostbare Buch wieder, faltete die Hände und legte sie auf den prachtvollen Buchdeckel. Die Autorität, die von der Heiligen Schrift ausging, empfand er als zutiefst tröstlich. Dann blickte er wieder der Reihe nach die Gemeindemitglieder an.
Die Furcht, die Hahskans zuvor verspürt hatte, und all die Besorgnis waren verschwunden. Er wusste, dass beides wiederkommen würde. Denn er war nur ein einfacher Sterblicher, keiner der Erzengel, die nach Safehold zurückgekehrt waren. Doch jetzt, an diesem Tag, war er endlich frei, jene Botschaft zu verkünden, die schon so lange in seinem Herzen brannte. Eine Botschaft, die, so wusste er, in den Herzen von ungleich mehr Priestern brannte, als jene, die das Orange des Vikariats trugen, auch nur vermuteten.
»Meine Kinder«, setzte er mit seiner tiefen, volltönenden Stimme an, »es ist uns nicht gegeben, in friedvollen Zeiten zu leben. Es sei denn, euch wäre eine andere Definition von ›friedvoll‹ bekannt, als ich in meinen Wörterbüchern zu finden vermochte.«
Sein Lächeln wurde breiter, und ein belustigtes Raunen durchströmte das ganze Gotteshaus - noch nicht ganz ein Lachen, das wäre doch unziemlich gewesen. Hahskans wusste diese Reaktion der Gemeinde zu schätzen. Dann jedoch verschwand sein Lächeln wieder. Seine Miene wurde ernster, und er schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er, »›friedvoll‹ sind diese Zeiten wahrlich nicht! Und das macht sie so erschreckend. Wir wollen doch allesamt ehrlich sein, meine Kinder. Es sind erschreckende Zeiten, und das nicht nur für uns selbst. Welcher Vater müht sich nicht mit aller Kraft, seine Kinder gut zu nähren und ihnen Schutz und Sicherheit zu bieten? Welche Mutter
Weitere Kostenlose Bücher