Die Eisfestung
lichtdurchflutet. Er hatte eine angenehme Größe und war am Boden mit einfachen hellbraunen Holzplanken ausgelegt, die nicht aus der Erbauungszeit der Burg stammten, da war Emily sich ganz sicher. Die Mauern waren weiß gekalkt. Rechts war ein großes Fenster mit einem Spitzbogen, dem man neue Scheiben eingesetzt hatte. In diesem Augenblick brach die Sonne hinter einer Wolke hervor und ihre Strahlen tauchten den ganzen Raum in ein goldenes Licht. Die Wände leuchteten noch heller als vorher. Durch das Fenster konnte Emily bis an den Horizont der schneebedeckten Landschaft sehen: weiße Felder, Hecken und darüber Fetzen von Blau am Schneehimmel.
»Könnte man wohnen, hier drin«, sagte Simon.
Emily nickte. Durch die Sonnenstrahlen war es in dem Zimmer fast warm.
»Und schau mal hier.« Simon zeigte auf den schweren Kamin, der an der gegenüberliegenden Wand wuchtig in den Raum ragte. Er war ebenfalls weiß gekalkt und hatte einen modernen Metallrost. Emily ging zu dem Kamin hinüber und steckte den Kopf in den Rauchabzug.
»Ich kann den Himmel sehen«, sagte sie mit dumpf klingender Stimme. »Man könnte hier ein richtiges Feuer machen.«
»Sie haben alles neu hergerichtet«, sagte Simon.
Von der Treppe waren Schritte zu hören.
»Das ist einfach genial!« Marcus kam herein und stolperte die zwei Stufen hinunter. Er schwenkte eine Broschüre. »Ihr müsst unbedingt hören, was -« Er machte eine Pause und blickte sich kurz um. »Oh, nett hier. Also, ihr müsst unbedingt hören, was ich hier drin alles gefunden habe! Da steht einfach alles drin! Ich hab’s nur überflogen, aber die Burg ist wirklich interessant, und ich hatte recht – es gab hier jede Menge Schlachten. Stellt euch vor, es war Cromwell, der die Ringmauern zerstört hat. Er hat darunter Fässer mit Schießpulver vergraben und dann alles hochgejagt, und mit dem Hauptbau hatte er das auch vor, weil sie hier nämlich auf der Seite des Königs waren, aber dann wurde er abberufen. Und wartet...« Er blätterte die Broschüre durch. »Ja, hier. Es gab eine große Schlacht in der Nähe der Burg. Zweitausend Männer starben, bevor die Anhänger Cromwells alles unter ihre Kontrolle bringen konnten.«
»Tatsächlich.« Simon klang tödlich gelangweilt.
»König John hat die Burg auch belagert. Natürlich viel früher. Und Edward II. war auch einmal hier. Wisst ihr, wie er gestorben ist? Ich sag’s euch. Sie haben ihm einen rot glühenden Schürhaken in den Arsch gerammt!«
»Steht das da drin?«, fragte Emily verblüfft.
»Ähm, nein -«
»Marcus«, sagte Simon, »du redest viel Scheiße zusammen, wenn der Tag lang ist.«
»Aber es ist wahr! Ich schwör’s! Ich hab mir das nicht ausgedacht! Ich hab’s in einem Buch gelesen.«
»Du liest zu viele Bücher. So ein Quatsch!«
»Glaub mir, es war Edward. Sie haben es so gemacht, damit keiner gemerkt hat, dass sie ihn abgemurkst haben. Keine äußeren Wunden. Sie haben seinen Leichnam in einem weißen Totenhemd aufgebahrt und dann seine treuen Untertanen hereingelassen. Die haben ihn friedlich daliegen sehen, wie einen Heiligen. Und keiner von den vielen tausend Trauergästen erfuhr die schlimme Wahrheit – dass er heimtückisch ermordet worden war!«
»Und woher weißt du das jetzt?«, fragte Simon spöttisch. »Wenn’s keiner erfahren hat?«
»Na, wie wohl«, sagte Marcus leicht verärgert. »Irgendeiner hat geplaudert. Konnte das grausige Geheimnis nicht für sich behalten. Hinter vorgehaltener Hand hat man sich alle möglichen Gerüchte erzählt und allmählich kam die schreckliche Wahrheit ans Licht.«
Simon seufzte. »Und was hat das mit der Burg hier zu tun?«
»Nichts. Außer dass Edward hier war – ein König! Vielleicht stand er genau da, wo wir jetzt stehen.«
»Na und?« Simon hatte keine Lust auf diese ganzen Geschichten, aber Marcus ließ sich dadurch nicht beirren.
»Und jetzt stehen wir hier!«, fuhr er fort. »Ist das nicht großartig? Wart ihr schon mal in Windsor?«
»Ja, auf einem Schulausflug«, sagte Emily. Simon antwortete nicht.
»Ich hab’s nur im Fernsehen gesehn. Ist das größte Schloss in England und eigentlich auch eine Burg, aber interessiert mich nicht besonders. Viel zu perfekt. Alles ganz bequem und modern, mit Satellitenschüsseln und Parkplätzen im Schlosshof. Und dann die Queen, das macht’s noch schlimmer. Ich meine, es ist einfach langweilig. Ist viel besser, wenn eine Burg klein und halb verfallen ist und wenn sie irgendwo in der Landschaft
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