Die Eisfestung
rum und guckt. Wirkt ziemlich nervös. Dreht sich dauernd unruhig um. Als ob er auf der Flucht vor irgendwem wäre.«
»Ist schließlich ein umzäuntes Grundstück hier«, sagte Emily. »Er dürfte sich da auch nicht aufhalten, oder?«
Simon nickte. »Scheint in der Familie zu liegen. Aber da – er bewegt sich!«
»Scheiße!« Marcus kratzte sich nervös an der Stirn. »Wohin geht er?«
»Er kommt hierher.«
»Scheiße!«
»Keine Angst – er kann nicht rein. Das Seil ist doch gut versteckt, Em – oder?«
»Na klar.«
»Okay. Dann sind wir hier sicher. Er biegt um den Turm. Er sucht bestimmt den Eingang. Kommt mit.« Simon sprang vom Fenster weg und sauste quer durch den Raum.
»Warte!«, brüllte Marcus aufgeregt. »Wo willst du hin?«
»Ich will sehen, was er macht. Folgt mir, aber leise .«
Einer nach dem anderen rannten sie durch den langen, schmalen Flur, der zu dem Säulenzimmer führte. Marcus drückte sich als Letzter geduckt an der Wand entlang, als hätte er selbst hier Angst, entdeckt zu werden. Als Simon das Säulenzimmer erreicht hatte, verlangsamte auch er seine Schritte und schlich weiter, sogar in seinen schweren Stiefeln gelang es ihm, auf Zehenspitzen zu gehen. Die anderen beiden folgten seinem Beispiel, und in einem schweigenden Gänsemarsch näherten sie sich dem tief in die Mauer eingelassenen Fenster, das auf die winterlichen Felder zeigte.
Sie hatten es noch nicht erreicht, als sie direkt unter sich schlurfende Schritte hörten. Erschrocken hielten sie an. Ein Rasseln und gedämpftes Quietschen ertönten, das zugleich durchs Fenster und durch die Gusslöcher zu hören war. Jemand rüttelte mit aller Kraft an dem mächtigen Tor. Simon machte ein Zeichen, dass sie jetzt absolut keinen Laut von sich geben durften, Marcus biss sich auf die Unterlippe, bis sie ganz weiß war. Das rüttelnde Geräusch ertönte wieder, noch zwei weitere Male, dann hörte es auf. Emily hörte durch das Fenster ein Fluchen und Schritte, die durch den Schneematsch davonstapften. Simon winkte, dass sie dicht hinter ihm bleiben sollten.
»Er geht jetzt an der Mauer entlang«, flüsterte er. »Wahrscheinlich will er um die ganze Burg rum und noch nach einem anderen Eingang suchen. Scheint sich verdammt sicher zu sein, dass du hier bist, Marcus.«
»Aber wie kommt er darauf?«, flüsterte Emily zurück. »Wenn du ihm nicht erzählt hast, dass wir hier waren, woher weiß er dann...«
Sie verstummte. Sie hatte Marcus angeschaut, während sie das sagte, und bemerkt, dass sich auf seinem Gesicht eine Mischung aus Entsetzen und allmählicher Erkenntnis abzeichnete. Er sah ganz grün aus.
Simon zog eine Augenbraue hoch. »Also doch«, sagte er. »Was hast du getan?«
Die Stimme von Marcus war dumpf, ohne jede Hoffnung. »Die Broschüre, ihr wisst schon, die Broschüre mit dem Grundriss der Burg. Ich hab sie letztes Mal mitgenommen und zu Hause noch drin gelesen, ich kann mich nicht dran erinnern, dass ich sie eingepackt habe… Sie muss hinters Bett gerutscht sein oder so was in der Art, jedenfalls habe ich sie nicht gesehen, als ich gegangen bin. Und Dad muss sie gefunden haben...« Er hielt die Hände vors Gesicht und stöhnte.
»Leise! Beherrsch dich!«, zischte Simon.
Marcus stöhnte leise weiter.
»Du bist ein Idiot , Marcus«, flüsterte Emily. »An alles hast du gedacht – und dann hinterlässt du eine so fette Spur, die direkt zu deinem Versteck führt. Was machen wir denn jetzt?«
Simon klopfte Marcus auf den Rücken. »Ist noch nichts verloren, Kumpel«, sagte er. »Dein Dad kommt hier nicht rein, deshalb glaubt er, du schaffst das auch nicht. Du bist mal hier gewesen, na und? Kein Grund anzunehmen, dass du jetzt wirklich in der Burg bist.«
Marcus nickte schwach. »Du hast wahrscheinlich recht.«
»Natürlich hab ich recht. Jetzt warten wir erst mal, bis er verschwindet. Er wird nicht mehr lang bleiben; der Wind pfeift wieder stärker. Lasst uns zurück auf unseren Wachposten an der anderen Seite gehen.«
Sie flitzten durch den Gang wieder in die Vorhalle des Rittersaals zurück und nahmen ihre Plätze am Fenster ein, Simon stand an der Wand und blickte hinaus, die beiden anderen hockten auf der Steinbank und reckten ihre Hälse zum Fensterschlitz hoch. Emily konnte das Torhaus sehen, die Ruinen der Ringmauer, den dunklen Schatten des Burggrabens und weiter hinten, am anderen Ende der schlammigen Schneefläche, den hohen Heckenzaun. Dahinter war der Parkplatz. Ein einsames blaues Auto war dort
Weitere Kostenlose Bücher