Die Eisfestung
geparkt, in dem Schneematsch waren seine kurvigen Fahrspuren deutlich zu erkennen. Sie warteten eine Weile schweigend.
Irgendwann kam von Simon ein leichtes Kopfnicken. Marcus erstarrte. Emily reckte sich und schaute hinaus. Ein Mann war zu sehen, der sich in Richtung Torhaus bewegte. Er hatte ihr den Rücken zugewandt. Er trug eine dunkelgrüne Fleecejacke und eine schwarze Jeans sowie eine rote Mütze, die er bis über die Ohren gezogen hatte. Der Mann ging langsam, ein-, zweimal wäre er auf dem unebenen Boden fast ausgerutscht. Jetzt war er beim Torbogen des Torhauses angelangt, er überquerte die Brücke und schlug dann den Weg zur Eingangstür in der Hecke ein. Sie blickten ihm nach. Erst als er bei seinem Auto angelangt war, drehte er sich um und blickte zur Burg zurück, aber da war er schon zu weit entfernt, als dass Emily sein Gesicht hätte sehen können. Er stand da und schaute auf die Burg und es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Schließlich öffnete er die Wagentür und stieg ein.
Aber selbst da schien er es noch nicht eilig zu haben. Mehrere Minuten lang stand das Auto noch still und reglos da. Der Mann war hinter den dunklen Scheiben nicht mehr zu erkennen.
Emily hörte, wie Marcus vor sich hin murmelte: »Warum fährst du nicht? Fahr doch endlich!«, und endlich wurde seine Bitte erhört. Aus der Ferne hörte man das Brummen eines Motors, der angelassen wurde.
Das Auto fuhr weg -, die Straße entlang, in den Wald hinein, dann war es verschwunden. Erst danach fiel die Spannung von ihnen ab. Emily tat der Rücken weh, so stark hatte sie sich verkrampft.
»Alles in Ordnung«, sagte Simon. »Er ist abgedampft.«
»Habt ihr ihn gesehen? Habt ihr seinen Gesichtsausdruck gesehen?«, fragte Marcus. Seine Stimme überschlug sich. »Er ist wütend! Er hat eine Stinkwut auf mich! Er ist total sauer, dass er mich nicht finden kann! Sogar wenn ich ihm einen Hinweis dalasse, kann er mich nicht aufspüren!«
»Er ist aber ziemlich nah dran«, sagte Emily ruhig.
»Ich bin in meiner Burg sicher! Die Verteidigungsmauern halten! Hast du sein Gesicht gesehen, Simon? Er hätte mich so gern geschnappt! Hast du es gesehen?«
Simon zuckte die Achseln. »Kann schon sein... war ein bisschen weit weg.«
»Ich konnte es nicht sehen«, sagte Emily. »Aber ist auch nicht so wichtig. Wir müssen jetzt entscheiden, was wir machen.«
»Was wir machen? Ich bleibe hier. Jetzt, wo er hier gewesen ist und gesehen hat, dass ich unmöglich in der Burg sein kann, ist doch alles bestens.« Marcus lachte in sich hinein. »Hört mal, es wird etwas kalt hier. Ich möchte gern alles für die Nacht vorbereiten. Könntest du mir vielleicht helfen, den Heizer zu tragen, Simon? Er muss wieder die Treppe hoch.«
»Noch mal da hoch mit dem Ding? Du machst wohl Scherze!«
»Hey – ich zeig dir dafür auch, welche Verteidigungsmaßnahmen ich mir noch ausgedacht habe. Sind echt super!«
»Okay, erst zeigst du sie mir, dann helf ich dir vielleicht.«
»Abgemacht. Komm mit die Treppe runter.«
Marcus stürmte die Wendeltreppe hinunter. Simon zögerte etwas, dann folgte er ihm. Bevor er um die erste Biegung verschwand, blickte er über die Schulter Emily an, die sich keinen Millimeter gerührt hatte. Sie schüttelte den Kopf.
»Bin in einer Minute wieder da«, sagte er.
Als sie allein war, reckte Emily sich und machte es sich auf ihrem Sitz am Fenster etwas bequemer. Dann schloss sie die Augen und versuchte, einen klaren und vernünftigen Gedanken zu fassen. Das fiel ihr schwer. Zu wirr und widersprüchlich war alles, was ihr im Kopf herumging. Alles ging kreuz und quer, prallte aufeinander, und sie schaffte es nicht, eine Ordnung hineinzubringen, zu verstehen, was hier wirklich los war, und eine klare Entscheidung zu treffen. Was sollten sie jetzt tun? Sie wusste es nicht. Sie spürte nur, wie angespannt und durcheinander sie war.
Noch mal von vorn, mit etwas mehr Konzentration. Okay, erster Gedanke. Es war idiotisch, wenn Marcus sich noch länger in der Burg versteckte. Klarer Fall. Er würde sich entweder den Tod holen oder sie würden ihn schnappen und dann wegen Vandalismus, Einbruch und dem ganzen Rest einsperren. Deshalb …
Gedanke Nummer zwei war ebenfalls klar und einfach oder schien es zumindest zu sein. Marcus war in Gefahr. Sein Vater hatte ihn brutal verprügelt. Daran gab es keinen Zweifel. Er hatte erzählt, wie das bei ihm zu Hause lief, und außerdem brauchte man nur sein Gesicht anzuschauen, das sprach eine deutlichere
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