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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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zuzuziehen – Vorhänge aus schwerem Rüschenstoff, die aussahen, als sollten sie den Blick auf eine Opernbühne freigeben. Mascha hatte inzwischen den Pullover ausgezogen und saß in ihrem kurzen Rock und schwarzen BH auf dem Bettrand. Katja rekelte sich lächelnd auf einem Stuhl. Sie sollte es nie wieder tun, aber in dieser Nacht blieb sie bei uns, vielleicht aus Sicherheitsgründen, ich weiß nicht. Es war auf lüstern perverse Weise verwirrend, doch kam mir der ganze Abend irgendwie surreal vor, und der Wodka nahm dem Ganzen die Schärfe.
    Mascha war anders als die Mädchen in England. Anders als du. Auch anders als ich. Nicht so höflich, sie schauspielerte nicht, täuschte nichts vor. Sie besaß eine elementare, erdhafte Energie, packend, fordernd, humorvoll, begierig zu gefallen und zu improvisieren. Sooft ich aufblickte, saß Katja da, grinste, so nah, dass ich sie auch ohne Brille deutlich sehen konnte, vollständig angezogen, als beobachtete sie ein wissenschaftliches Experiment.
    Als wir hinterher in Löffelchenstellung lagen, Mascha schwer atmend, nicht schlafend, aber auch nicht wach, schüttelte sie die Hand, mit der ich über ihren Leib nach ihren Fingern gegriffen hatte, als wären sie ein kaputtes Spielzeug – nur, damit ich sie fester hielt oder wie um sich zu beweisen, dass meine Hand und ich real waren, als wären sie und ich etwas, was sie brauchte. Jedenfalls kam es mir so vor. Und am anderen Ende des Bettes, ein Teil von uns, wenn auch meilenweit fort, umklammerte sie mein Bein mit ihrem Bein, so dass ich, erinnere ich mich, gerade noch spürte, wie sich die angemalten Fußnägel ihrer weißen Zehen in meinen Unterschenkel gruben.
    Als am Morgen Licht in mein Schlafzimmer sickerte, sah ich Katja im Sessel schlafen, die Knie ans Kinn gezogen, noch immer vollständig angezogen, das blonde Haar wie ein Schleier über das Gesicht gebreitet. Mascha lag neben mir, das Gesicht abgewandt, das Haar auf dem Kissen, ihr Geruch auf meiner Haut. Ich schlief wieder ein, und als ich das nächste Mal wach wurde, waren beide fort.

VIER
    H ier ist es«, sagte Mascha.
    Wir standen vor einem alten, klassizistischen Moskauer Haus mit rissiger Pastellfassade und einem geräumigen Hof, auf dem die adlige Herrschaft einst Pferde gehalten und die Dienerschaft gegen sie intrigiert hatte. Mittlerweile standen da nur noch zwei kümmerliche Bäume mit schlaffen, braunen Blättern sowie drei, vier Autos, immerhin so edel, dass deutlich wurde, hier wohnte Geld. Wir traten durch den Gewölbebogen und gingen in die hintere, linke Hofecke zu einer Metalltür mit uralter Sprechanlage. Feuchtigkeit hing in der Luft, die schwer von etwas, das weder richtig Graupel noch ganz Schnee war, eine russische Feuchtigkeit, die nach Abgasen schmeckte und in Mund und Augen drang, typisches Moskauer Wetter eben, ein Wetter, bei dem man sich wünscht, der Himmel würde endlich zur Sache kommen, und man sich fühlt wie ein verurteilter Gefangener, der zur Schneide der Guillotine hochblickt.
    Mascha tippte die Nummer der Wohnung ein. Nach einer kurzen Pause knisterte es. Eine Frauenstimme fragte:
»Da?«
    »Wir sind’s«, erwiderte Mascha auf Russisch. »Mascha, Katja und Nikolai.«
    »Kommt rauf«, sagte die Stimme. »Dritter Stock.«
    Man ließ uns ein, und wir gingen die schmutzige Marmortreppe nach oben.
    »Sie war mal Kommunistin«, sagte Mascha, »aber ich glaube, das ist sie nicht mehr.«
    »Sie ist ein bisschen vergesslich«, sagte Katja, »aber sehr nett.«
    »Ich finde, sie ist nicht besonders glücklich«, sagte Mascha, »aber wir geben uns Mühe.«
    Sie wartete auf dem Treppenabsatz, eine Frau mit der Figur einer kugelstoßenden Babuschka in Miniaturausgabe und einem Gesicht, das jünger wirkte als ihr graues Haar, dem sie eine praktische, sowjetische Topffrisur verpasst hatte. Sie trug hochgeschnürte schwarze Schuhe, braune Strümpfe und einen sauberen, doch zerschlissenen Wollrock nebst Wolljacke, die gleich verriet, dass das Geld nicht bei ihr daheim war. Sie hatte einen klugen Blick und ein freundliches Lächeln.
    »Meine Liebe«, sagte Mascha, »das hier ist Nikolai …« Ich sah ihr an, wie ihr erst jetzt auffiel, dass sie meinen Nachnamen nicht kannte. Wir trafen uns vielleicht zum vierten Mal, die erste Begegnung in der Metro nicht mitgerechnet. Eigentlich waren wir noch Fremde, sind es vielleicht immer gewesen, doch damals fühlte es sich richtig an, ihrer Tante vorgestellt zu werden. Es fühlte sich an, als könnte

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