Die eiskalte Jahreszeit der Liebe
es mit uns was Dauerhaftes werden.
»Platt«, sagte ich, »Nicholas Platt«, und fuhr dann, während wir uns die Hände schüttelten, auf Russisch fort: »Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Kommen Sie herein«, sagte sie lächelnd.
Ich fürchte, ich eile der Geschichte ein wenig voraus, aber ich wollte dir unbedingt erzählen, wie ich sie zum ersten Mal getroffen habe – Tatjana Wladimirowna, die alte Dame.
*
In diesen Goldrauschtagen – als an der Hälfte der Gebäude im Stadtzentrum Rolex-Reklamen groß wie U-Boote hingen und man für Wohnungen in Stalins Zuckerbäckerhochhäusern Preise wie in Knightsbridge nahm –, hatte das Geld in Moskau seine eigenen Angewohnheiten. Es wusste, irgendwer im Kreml konnte es jeden Moment zurückpfeifen, also entspannte es sich nicht bei einem Kaffee oder einem Spaziergang mit dreirädrigem Buggy im Hyde Park, wie es das Geld in London tat. Moskauer Geld emigrierte auf die Kaimaninseln, zu den Villen auf Kap Ferrat oder sonst wohin, wo man ihm ein warmes Zuhause bot und keine Fragen stellte. Oder es flog so unauffällig wie nur möglich aus dem Fenster, ergoss sich in champagnergefüllte Jacuzzis oder floh mit privaten Helikoptern. Ganz besonders liebte das Geld die Verkäufer der Edelschlitten am Kutosow-Prospekt auf dem Weg zu Kriegsmuseum und Siegespark. Es dekorierte die Mercedes-Karossen und aufgemotzten Hummer mit einem Blaulicht, das man für schlappe dreißigtausend Dollar bei einem willfährigen Beamten im Innenministerium erhielt, ein Notlicht, das die Moskauer Staus teilte wie einst Mose das Rote Meer. Die Wagen sammelten sich um die angesagtesten Restaurants und Nachtklubs wie sich in der Sonne aalende Raubtiere an Wasserlöchern, während das Geld hereinspazierte und sich an Kaviar und Cristal Champagner gütlich tat.
An einem Freitag gegen Ende Oktober – zwei oder drei Wochen, ehe ich Tatjana Wladimirowna an der Tür zu ihrer Wohnung vorgestellt wurde, und etwa ebenso lang nach meiner ersten Nacht mit Mascha – nahm ich die beiden Frauen mit zu Rasputin, damals einer der elitärsten Nachtklubs der Stadt. Er lag an einer Straßenecke zwischen dem Eremitage-Garten und der Polizeistation Petrowka (wo die russische Version von
Crimestoppers
gedreht wird, angereichert mit allerhand Leichen und jeder Menge gestellter Schießereien). Zumindest hatte ich vor, mit ihnen ins Rasputin zu gehen.
Wir schlängelten uns an den schnittigsten Automobilmonstern vorbei, ausnahmslos mit getönten Scheiben, um am Eingang auf Vertreter dessen zu treffen, was alle Moskowiter nur
feis kontrol
nennen: zwei, drei himalajagroße Türsteher und eine schnöselige Blondine mit Headset, deren Job darin bestand, ungenügend glamourösen Frauen und Männern mit ungenügendem Einkommen den Einlass zu verwehren. Die Blondine musterte meine Begleitung von oben bis unten auf die für russische Frauen typische, zugleich unverfrorene und herausfordernde Weise. Katja trug weiße Stiefel und einen Minirock mit Leopardenmuster; ich weiß noch, dass Mascha ihr langes Haar zu einer wilden Mähne frisiert hatte, am Handgelenk ein silbernes Armband mit einer Miniaturuhr in Herzform. Wahrscheinlich war es mein Fehler, dass wir aufgehalten wurden. Ich hatte versucht, mich dem vorherrschenden Mafia-Outfit anzupassen, weshalb ich meinen dunklen Büroanzug mit schwarzem Hemd trug, doch sah ich darin vermutlich wie der Chorknabe einer Schulaufführung des Musicals
Guys and Dolls
aus. Man sah der Frau an der Tür geradezu an, dass sie sich fragte, wie viel Ärger ich machen konnte, falls ich wütend wurde, dass sie also mein
krischa
einzuschätzen versuchte – jenes menschliche ›Dach‹, das jeder Russe vorzugsweise bei einem Sicherheitsdienst braucht, wenn er irgendwie aus der Klemme, in eine niedrigere Steuerklasse oder an einem Freitagabend ins Rasputin will. Vom Markthändler mit dem ihm freundlich gesinnten Polizisten, der mal ein Auge zudrückt, bis zum Oligarchen mit willfährigem Politiker im Kreml braucht jeder, der es zu etwas bringen will, ein
krischa
: jemanden, der einem Gehör verschafft oder die nötigen Strippen zieht, vielleicht ein Verwandter, ein alter Freund oder auch nur jemand Mächtiges, dessen kompromittierende Geheimnisse man zum Glück kennt. Die Frau flüsterte mit einem der Türsteher, der uns daraufhin um eine Ecke in einen mit einem Seil abgesperrten Bereich für die Zurückgewiesenen führte. Später würde man uns vielleicht einlassen, sagte er, falls unter den
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