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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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flatterten über unseren Köpfen. Wir strebten zur Bar. Der Boden war aus Glas, darunter ein Aquarium mit Stören und einigen verloren wirkenden Haien. Es gab jede Menge unbezahlbarer Frauen und gefährlicher Männer.
    Bei einem Barmann mit dem unterentlohnten, genervten Stirnrunzeln, wie es alle Barmänner überall auf der Welt bei vollem Haus haben, bestellte ich drei Mojitos, dazu eine Runde riskantes Sushi, damals Standardsnack in sämtlichen Moskauer Nachtklubs. Ich fühlte mich wie ein Lotteriegewinner, saß im Rasputin mit all den großen Nummern und ihren chirurgisch aufgehübschten Nutten – ich mit meinem sinnlos dichten Haar, den verkniffenen englischen Gesichtszügen und einem neuen, mittdreißiger Fettpolster am Kinn, nach dem ich jeden Morgen im Spiegel suchte und vergeblich hoffte, es sei von allein wieder verschwunden. Ich kam mir vor, als wäre ich wer, kein Niemand, der in diesem Augenblick wie so viele Bürohengste auch über die London Bridge traben könnte. Ich schätze, genauso sollte ich mich fühlen.
    Katja fragte mich über England aus. Das Übliche: Hatte Sherlock Holmes wirklich gelebt? War es schwer, an ein Visum zu kommen? Warum wartete Churchill bis 1944 , um die zweite Front aufzumachen? Sie ist ein liebes Mädchen, dachte ich, mit ihrem Mikro-Mini, der Schwester ergeben und mit verständlich enger Perspektive durchaus daran interessiert, es zu etwas zu bringen.
    Mascha fragte mich nach meiner Arbeit.
    »Kolja«, sagte sie, »kennst du dich nur mit englischem Recht aus? Oder auch mit russischem Recht?«
    Ich antwortete, ich hätte englisches Recht studiert, verstünde aber auch einiges vom russischen Recht, insbesondere vom Wirtschaftsrecht.
    »Womit hast du es vor allem zu tun?«
    Meist mit Krediten, sagte ich, aber auch mit der einen oder anderen Fusion und Unternehmensübernahme.
    »Also nicht mit Grundstückskauf und -verkauf?« Ihre Stimme ging beinahe unter im Herzschlagrhythmus der russischen Tanzmusik und dem Gejohle der Ganoven.
    Nein, sagte ich, damit nicht. Ich kannte mich zwar ein bisschen mit Immobiliarrecht aus, aber nicht besonders – eigentlich nur, soweit es um langfristige Mietverträge für kommerziell genutzte Gebäude ging.
    Ich weiß, diese Fragen hätten mich stutzig machen sollen, aber ich war zu sehr damit beschäftigt, an Mascha selbst zu denken, daran, dass wir bald zu mir gehen$Z$würden und ob es dies nun war, das berühmte ›wahre Leben‹.
    *
    Katja sagte, sie wolle noch zu einer Geburtstagsparty. Ich bot ihr an, dass wir sie begleiteten, aber sie lehnte ab, sagte, das sei unnötig, und lief allein Richtung Bolschoi-Theater in den frühen Schnee und die zügellose russische Nacht davon.
    Ich schlug vor, ein Taxi zu nehmen, aber Mascha sagte, sie wolle lieber zu Fuß gehen. Also liefen wir zurück zum Puschkin-Platz, vorbei an der hübschen Kirche, die von den Kommunisten verschont worden war, an dem Stripklub linker Hand, gleich neben dem Puschkin-Kino (in dessen Kabinen im oberen Stock einige Monate später eine Gruppe ungarischer Geschäftsleute lebendig verbrennen sollte) und dem Kasino gegenüber, vor dem in angekipptem Glaskasten ein Sportwagen steht. Der feuchte Schnee ließ die Stadt sanfter aussehen; wie auf einem impressionistischen Gemälde verwischte er die Ränder der Gebäude. Vor uns funkelte der Platz mit seinen ›All-You-Can-Eat‹-Restaurants und der Statue des berühmten Dichters in all seinem Neonglanz wie ein farbenfrohes Mongolenlager.
    Mascha erzählte mir an jenem Abend, dass sie sich wegen Katja Sorgen machte, da sie nur einander hätten, ihre Tante einmal ausgenommen, erzählte, wie sie stets davon geträumt habe, hierherzukommen, aber wie schwierig es doch sei. Um ihren Job zu bekommen, musste sie dem Manager fünfhundert Dollar zahlen, die übliche Bestechungssumme, und sie hatte sechs Monate gearbeitet, um das geliehene Geld zurückzahlen zu können. Sie hoffe, sagte sie, eines Tages irgendwo leben zu dürfen, wo es sicherer sei und sauberer.
    »Wie in London«, sagte ich, »wie zum Beispiel in London.« Ich ging zu schnell vor, das war mir klar, besonders wenn ich daran denke, wie es zwischen dir und mir lief. Aber irgendwie schien der Gedanke gar nicht so abwegig, zumindest nicht am Anfang. Ich will ehrlich zu dir sein. Ich denke, das ist für uns beide jetzt das Beste.
    »Vielleicht«, sagte sie und griff nach meiner Hand, als wir die rutschigen Stufen zur Metrostation hinuntergingen, in der wir uns getroffen hatten.

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