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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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der Moskwa.
    »Aber da es in Russland heutzutage zivilisiert zugeht«, fuhr Steve fort, »hat man sich mittlerweile saubere Methoden ausgedacht. Man sucht sich irgendeinen Alten, brät ihm eins über und besorgt sich einen bestechlichen Richter, damit der bestätigt, dass man rechtmäßiger Erbe des Toten ist. Das ist alles, danach gehört einem die Wohnung.«
    »Braucht man keine Leiche?«, fragte ich. »Ich meine, muss man den Tod nicht irgendwie nachweisen? Muss der Tote nicht gefunden werden?«
    »Mein Gott, Nick, ich dachte, du bist Anwalt. Nein, eine Leiche ist nicht nötig. Wer in Russland fünf Jahre verschwunden ist, gilt als tot.
Finito
. Aber – und das ist wirklich das Beste – ein wohlwollendes Gericht kann jemanden schon sechs Monate nach seinem Verschwinden für tot erklären. Der Antragsteller muss bloß beweisen, dass der Vermisste zuletzt in einer gefährlichen Situation gesehen wurde. Was nicht besonders schwierig sein dürfte. Der Betreffende könnte auf dem Eis geangelt haben. Oder er war betrunken im Fluss schwimmen. Oder er hat im Wald die falschen Pilze gesammelt. Ist er sechs Monate tot, wechselt die Wohnung den Besitzer. Seit wann wird Konstantin Wienochgleichwitsch vermisst?«
    »Weiß nicht«, antwortete ich. »Ich erinnere mich nicht genau. Oktober vielleicht. Ungefähr jedenfalls.«
    »Lang genug. So lang, dass die Wohnung sicher längst weiterverkauft wurde.«
    Ich glaube, bis zu diesem Moment hatte ich mir einreden können – zumindest insoweit, als ich nicht mehr daran dachte –, dass sie schon nicht so schlimm sein würde, die Sache mit Mascha, Katja und Tatjana Wladimirowna – sicher, nett war es nicht, vielleicht würde es sogar schlimm, aber
sooo
schlimm nun auch wieder nicht. Nicht so wie das hier. Ich hätte zuhören sollen. Ich hätte es mir denken können. Vielleicht hatte ich es mir auch gedacht und tat trotzdem, als wäre nichts. Doch als Konstantin Andrejewitschs Bein aus dem Kofferraum des Schiguli ragte und Steve mir seinen Vortrag über die Geschichte der Eigentumsvergehen hielt, konnte ich nicht länger tun, als wüsste ich nichts.
    »Um einen Richter zu bestechen«, sagte ich, »müssten die Betrüger doch Geld haben, richtig? Sie müssten Freunde haben. Was, wenn sie keine haben? Die Gauner, meine ich. Was, wenn sie nur kleine Ganoven sind, bloß ein paar junge Leute, die nicht aus der Stadt kommen.«
    »Die haben ihre Methoden«, sagte Steve. »Man braucht ein Opfer, möglichst ohne Verwandte. Und ich schätze, man braucht auch ein bisschen Geduld und Einfallsreichtum, aber möglich wär’s. Passiert doch ständig auf unterschiedlichste Weise. Ist das perfekte Moskauer Verbrechen. Privatisierung plus explodierende Immobilienpreise plus Skrupellosigkeit ergibt Mord. Aber warum glaubst du, dass es nur kleine Ganoven sind?«
    »Glaub ich gar nicht«, ruderte ich zurück. »Ich habe keine Ahnung.« Nach kurzer Pause fuhr ich fort: »Er lag in einem Auto, Steve. In meiner Straße. Im Schnee. Ich meine, das Auto lag unterm Schnee begraben. Allem Anschein nach hat er den ganzen Winter drin gelegen. Er war im Schnee begraben.«
    »Ein Schneeglöckchen«, sagte Steve. »Dein Freund ist ein Schneeglöckchen.«
    So werden sie genannt, erklärte er mir – so werden die Leichen genannt, die mit Beginn des Tauwetters zum Vorschein kommen. Meist Betrunkene und Obdachlose, die aufgeben und sich in den Schnee legen, aber auch das eine oder andere verschwundene Mordopfer. Schneeglöckchen.
    »Hab ich dir doch gesagt, Nicky«, fuhr Steve fort, »wenn das Ende der Welt kommt, dann kommt es aus Russland. Aber was ist, kommst du nun zu Alfie’s?«
    Ich legte auf und ging zurück zu Oleg Nikolaewitsch. Er stand jetzt aufrechter, hatte sich aber nicht vom Fleck gerührt.
    »Oleg Nikolaewitsch«, sagte ich, »es tut mir sehr leid. Wirklich, es tut mir schrecklich leid.«
    »Gott ist im Himmel«, sagte Oleg Nikolaewitsch und schaute auf den Fuß, »und der Zar ist weit weg.«
    *
    Ich könnte behaupten, es sei mein Gewissen gewesen, das mich dazu veranlasste. Ich würde dir gern sagen, es sei mein Gewissen gewesen. Vielleicht war es mein Gewissen, vielleicht auch etwas anderes, etwas Hässlicheres, eine Art Ehrfurcht vor dem, worin ich eine Rolle gespielt habe, eine ferne Verwandte des Stolzes. Ich würde ebenso gern behaupten, ich hätte es gleich getan, noch am selben Abend, an dem Abend mit dem Fuß. In Wahrheit aber war es nicht am selben Abend, nicht einmal am nächsten Tag.

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