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Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Die eiskalte Jahreszeit der Liebe

Titel: Die eiskalte Jahreszeit der Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.D. Miller
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orangefarbenen Schiguli ragte und über dem verschmierten Nummernschild hing. Am Fuß war noch ein Schuh, daran erinnere ich mich, über dem Schuhrand ein bisschen graue Socke, und über der Socke ein Streifen grünlicher Haut.
    Vom Knie aufwärts lag Konstantin Andrejewitsch noch im Kofferraum und war zum Glück nicht zu sehen, doch wusste ich sofort, dass er es war, Oleg Nikolaewitschs vermisster Freund. Ich stellte mich neben Oleg Nikolaewitsch, sah die schütteren weißen Wirbel auf seinem gesenkten Kopf und schaute mit ihm drei Minuten oder ein Jahrhundert lang zu Boden, ich und er, getrennt und zusammen. Oleg Nikolaewitsch hatte nicht aufgesehen und nicht zur Seite geblickt, aber ich wusste, er wusste, dass ich da war.
    »Schrecklich«, sagte ich schließlich. »Einfach schrecklich.«
    Er sah auf, mich an, öffnete den Mund, schluckte und blickte wieder zu Boden.
    Fünf, sechs Polizisten standen um den Wagen, zwei, drei redeten in ihre Mobiltelefone. Sie trugen diese komischen blauen Hemden, in denen sich die Moskauer Polizei im Sommer zeigt, Hemden, die sich elastisch um Bauch und Hüfte spannten; drunter klatschte die Waffe an den Schenkel. Sie wirkten wie Gäste bei einem phlegmatischen russischen Barbecue. Auf der Motorhaube saß rauchend der jugendliche Beamte, den ich vor einigen Monaten aufgesucht, aber nicht bestochen hatte, als ich mich, wenn auch nicht allzu intensiv, nach Oleg Nikolaewitschs unglückseligem Freund erkundigte.
    »Hi«, sagte ich.
    »Hi, Engländer«, antwortete er und freute sich offenbar, mich zu sehen. Er trug schwarze Jeans, ein Leinenjackett und ein dunkles T-Shirt, auf dem vorn ein Glas Guinness prangte.
    »Wissen Sie schon, wer es war?«, fragte ich.
    Er lachte. Die Akne war schlimmer geworden. »Noch nicht. Vielleicht morgen.«
    »Warum wurde die Leiche hiergelassen?«
    »Keine Ahnung«, sagte der Beamte. »Sicher wollte man sie fortschaffen, wurde aber gestört. Und wahrscheinlich hat man sich gedacht, es sei zu gefährlich, mit dem alten Mann im Kofferraum durch die Gegend zu fahren. Vielleicht wollten sie ihn auch später abholen und sind nicht mehr dazu gekommen. Sieht aus, als läge er schon eine ganze Weile hier. Womöglich schon seit letztem Jahr.«
    Ich erinnerte mich, dass Steve Walsh mir von der Amateurkiller/Profikiller-Methode erzählt hatte. Ich fragte den Beamten, ob sie für Konstantin Andrejewitsch zutreffen könnte.
    Er dachte kurz nach. »Möglich«, antwortete er dann. »War jedenfalls schlampige Arbeit. Hammer, fürchte ich, vielleicht auch ein Ziegelstein. Wollen Sie ihn sehen?«
    »Nein, danke.«
    Ich ging ein wenig beiseite, trat an den Kirchhofszaun. Gelbes Gras kämpfte im Schlamm um sein Leben. Ich rief Steve an.
    »Er ist tot«, sagte ich.
    »Kommst du deshalb zu spät? Ich dachte, wir gehen hinterher noch in Alfie’s Boarhouse.« Alfie’s war eine Kaschemme in der Nähe vom Zoo, in der russische Mädchen auf Tischen tanzten und von Ausländern mittleren Alters angestiert wurden, Mädchen, die vorgaben, Nutten zu sein, und Nutten, die taten, als wären sie keine. Mir hatte es im Alfie’s immer gefallen.
    »Konstantin Andrejewitsch«, sagte ich, »der Freund meines Nachbarn. Er ist tot.«
    Ich erzählte Steve von dem Fuß und dem Hammer (oder Ziegelstein).
    »Hab dir doch gesagt, dass er tot ist«, sagte Steve. Und dann sagte er: »Bestimmt wegen seiner Wohnung.«
    »Was?«
    »Wegen seiner Wohnung. Hat er eine Wohnung?«
    »Ja«, sagte ich. »Hat er. Hatte er.«
    »Tja«, sagte Steve. »Da hast du die Erklärung. Darum ging’s, ganz bestimmt. Es geht doch immer um die Wohnung, wenn es nicht gerade um Wodka oder Ehebruch geht. Irgendwem wird wegen seiner Wohnung eins übergezogen.«
    In den neunziger Jahren seien Eigentumsdelikte noch brutaler gewesen, erklärte Steve in jenem nostalgischen Ton, den Moskau-Veteranen immer dann anschlagen, wenn sie über diese von ihnen so geschätzte Dekade mit ihrem Übermaß an Wollust und Diebstahl zurückdenken. Nach dem Ende des Kommunismus gab die Moskauer Regierung die meisten Wohnungen in der Stadt fast umsonst an jene ab, die darin lebten. Sofort, erzählte Steve, fingen die Betrügereien an. Manchmal heirateten die Ganoven den Wohnungseigentümer und holten dann ihre Vettern oder Brüder aus Rostow oder sonst woher, um sie oder ihn zu beseitigen und die Wohnung zu erben. Oder man folterte die armen Trottel, bis sie auf ihre Besitzrechte verzichteten, und löste sie dann in Säure auf oder ertränkte sie in

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