Die Eiskrone
zusammen, so daß sie kaum mehr zu atmen vermochte. Aber dann ließ der Mann sie plötzlich los, weil der Colonel ihm seinen gesunden Arm um die Kehle gelegt hatte. Nun holte Roane mit ihrem Werkzeug aus und traf den Kopf des Angreifers, den Imfry an seiner Schulter festhielt.
Langsam hielt der Colonel den schlaffen Körper zu Boden gleiten, und als er sich wieder aufrichtete, hielt er dessen Waffe in der Hand. »Machen Sie das hier los«, sagte er und deutete auf einen Keil am Boden des Käfigs. Roane sah, was er meinte, und zerrte daran. »Ich werde in Deckung gehen.«
Er blieb hinter der Brustwehr und behielt die Treppe im Auge, die sie heraufgekommen war. Endlich hatte sie den Keil herausgezogen. »Können Sie jetzt mit anschieben? Dort hinüber.« Er stemmte seine gesunde Schulter dagegen, und auch sie schob kräftig an.
Der Käfig rührte sich und neigte sich schließlich über die Brustwehr. Dann schlug er krachend auf, und die Kette, an der er hing, spannte sich. Sofort war ihr klar, wieviel Glück sie dabei hatten, denn an der Kette konnte er zur Not auch einhändig hinunterklettern. Das schien er auch tun zu wollen, denn er nahm den Arm aus der Schlinge.
»Hinunter!« drängte er.
Die Kettenglieder waren ziemlich groß; sie konnte ihre Finger durchschieben und sich daran festhalten. »Hinunter!« wiederholte er.
Auf der Treppe hörte sie Schritte. Er schoß auf den Schatten, der sich bewegte, und sie vernahm einen gedämpften Schrei.
So schnell sie konnte, kletterte sie nun hinunter, bis sie am unteren Rand des Käfigs hing. Dann sprang sie.
Sie kam mit ganzen Knochen auf, und die Beulen, die sie sich dabei holte, waren nicht allzu schlimm. Rasch sah sie sich um, ob irgendwo ein Posten zu entdecken sei, aber sie erblickte keinen.
»Ich springe jetzt!« rief er leise von oben herunter. Er hing am Boden des Käfigs und stieß sich mit den Füßen von der Mauer ab. Dann ließ er sich fallen.
Er bewegte sich nicht, und sie rannte auf ihn zu. Hatte er sich etwas gebrochen? War er ohnmächtig geworden? Sie versuchte, ihn in die Höhe zu ziehen. Sie mußten eiligst von hier verschwinden, da sich einige Männer aus dem Dorf näherten. Hatte Imfry noch jene Waffe? Sie suchte seine Jacke danach ab, fand sie aber nicht. Und dann waren auch schon die Männer da.
Sie holte zu einem Schlag aus, aber einer fing ihre Faust ab. »Freunde!« rief dieser, und zwei andere hoben den noch immer am Boden liegenden Colonel auf. Der dritte zog Roane mit sich, und die beiden, die den Colonel trugen, folgten mit ihrer Last so rasch wie möglich.
Im Schatten eines dichten Gebüsches blieben sie stehen, um Atem zu holen. Sie hörte das Stampfen von Duocorns, und wenig später kamen sie zu einer Lichtung, auf der vier Reiter mit frischen Tieren warteten.
»Schnell!« drängte der Mann, der Roane geführt hatte, und die Duocorns wendeten und stoben in südlicher Richtung davon.
»Haffner kennt jeden Weg«, sagte er. »Die werden sich wundern, wen sie da jagen. Es wird eine gute Hatz.«
»Wir müssen Zeit gewinnen«, sagte einer der Männer, die den Colonel trugen. »Er blutet entsetzlich. Seine Wunde muß so schnell wie möglich versorgt werden.«
14
Der Sanitätskasten! Wenn es ihr auch möglich erschien, daß die darin enthaltenen Medikamente auf Clio unwirksam blieben, so bestand doch immerhin die Aussicht…
»Bitte …« Roane entzog sich dem Griff des Mannes, der sie noch immer festhielt. »Ich habe etwas bei mir, das ihm helfen könnte. Laßt mich …«
»Natürlich. Aber hier können wir nicht bleiben. Vielleicht lassen sie sich nicht in die Irre führen. Mattine, zum Hundezwinger!«
Es herrschte Dämmerung, aber die Männer schienen sich genau auszukeimen. Wie vom Busch aufgesaugt, verschwanden sie mit dem Colonel, während ihr Führer sie geschickt an allen Hindernissen vorbeiführte.
Sie folgten keiner Straße; eher war es ein Wildwechsel. Der Weg, den sie zurücklegten, war weit, obwohl Roane nicht hätte sagen können, wie lange sie sich durch den dichten Busch zwängten. Einmal legten sie eine kleine Rast auf einer Lichtung ein. Die benützte Roane dazu, sich Imfry genauer anzusehen.
Sein Kopf ruhte an der Schulter eines Mannes, und die Augen hatte er geschlossen. Auf seinem Hemd war ein großer, klebriger Fleck. »Laßt mich ihm helfen«, bat sie, aber der Mann wehrte ab.
»Noch nicht«, flüsterte er. »Seht, ganz ruhig!«
Sie lauschten. Geräusche waren zu vernehmen, die eher von Tieren als
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