Die Eiskrone
von Menschen stammten, doch dann hörte Roane deutlich eine Stimme: »Ha, Breitzahn, Rumpler und Röhrer, hinlegen! Und du, Spürnase, bist jetzt ruhig. Fänger, setz dich! Hier, da habt ihr euer Fressen. Macht euch drüber und gebt endlich Ruhe!«
Roanes Führer, der sich in Luft aufgelöst zu haben schien, tauchte aus einem Busch auf. Alle drei Männer zogen ihre Kapuzen tief in die Gesichter, so daß Roane von ihnen kaum mehr sah als die Nasenspitzen. Ihr Führer strahlte eine gewisse Autorität aus.
»Hier, nehmt das.« Er reichte jedem einen Streifen Stoff, der entsetzlich stank. Am liebsten hätte sie sich geweigert, den Fetzen zu berühren, aber das ging nicht. Einer von Imfrys Trägern hängte sich einen Streifen um den Hals, legte den zweiten auf den Colonel und bedeutete Roane, sich den ihren ebenfalls über die Schulter zu hängen.
»Der Schlüssel zum Zwinger«, erklärte der Führer. »Ich glaube nicht, daß man uns dort stört, wenigstens in nächster Zeit nicht. Aber jetzt weiter, ehe die Suchtrupps hier auftauchen.«
Auf einer großen Lichtung war ein Gelände mit einem hohen Zaun gegen den Wald abgegrenzt. Die Spitzen der Pfosten schienen nadelscharf zu sein. Hinter dem Zaun erkannte Roane einen Dachfirst. Ihr Führer ging auf eine Tür zu, schob einen schweren Balkenriegel zurück und drückte die Tür auf, damit die beiden anderen mit dem Colonel im Laufschritt den Hof erreichen konnten. Roane folgte ihnen, und der Führer schlug hinter ihr die Tür wieder zu und legte von innen einen Balken vor.
Direhunde! Sie waren wie die Duocorns nicht auf Clio heimisch, sondern von einer anderen Welt eingeführt worden, wahrscheinlich von Loki. Sie wären nicht sehr groß, hatten aber einen Geruch an sich, bei dem man sich am liebsten das Atmen abgewöhnt hätte. Ihr Fell war gefleckt, und die Köpfe trugen Löwenmähnen.
Die beiden Männer mit dem Colonel gingen an ihnen vorbei auf die Hütte zu. Die Tiere hoben die Köpfe und fletschten ihr Gebiß. Diese grünlichen Fangzähne sahen schrecklich aus, und in ihren Augen funkelte eine furchterregende Wildheit. Sie legten die mit dicken Haarbüscheln besetzten Ohren flach an den Kopf und knurrten tief in der Kehle. Aber dann schnüffelten sie und stellten die Ohren auf. Den Geruch kannten sie.
Die Hunde kehrten zu ihrem Fressen zurück, und die Männer gingen zur Hütte weiter. Roane wagte sich nicht umzudrehen, denn sie hatte Angst, daß einer der Hunde schon hinter ihr drein war. Doch die Tiere blieben friedlich.
Die Tür der Hütte wurde geöffnet, und sie traten ein. Hier war der Gestank der Tiere noch schrecklicher als im Freien. An einer Seite des Raums, in dem sie standen, hingen schwärzliche, übelriechende Fleischstücke, und darüber befanden sich schmale Regale, die mit verschiedenen Behältern und Gefäßen vollgestellt waren. An der Wand gegenüber hingen Peitschen, eiserne Halsbänder, Ketten und derbe Maulkörbe, die den Fangzähnen der Hunde standhalten konnten.
Auf dem Boden standen große, mit Stricken zusammengebundene Strohballen. Einer war aufgeschnitten. Roane legte ihre Lampe aus der Hand, um das Stroh zu einem Bett für den Colonel auszubreiten. Die beiden Männer legten ihn vorsichtig auf das Stroh, und Roane öffnete ihren Sanitätskasten. Imfry sah fast grau aus. Das gefiel ihr gar nicht.
»Platz machen«, bat sie. Als sie ihre schmutzigen Hände sah, nahm sie eine Spraydose heraus, drückte sie einem der Männer in die Hand und befahl ihm, auf den Knopf zu drücken. »Aber vorsichtig!« mahnte sie. »Wir dürfen davon nichts verschwenden.«
Nachdem sie ihre Hände in diesem antiseptischen Nebel gereinigt hatte, befahl sie den Männern, Imfry das Hemd auszuziehen, das sie vorher aus einem anderen Behälter besprüht hatte, so daß sich der angeklebte Stoff leicht ablösen ließ.
Die Wunde sah nicht schön aus, und sie blutete noch. Geschickt trug sie einen antibiotischen Spray auf, behandelte sie mit einem Schnellheilpräparat und legte vorsichtig eine Lage Plastafleisch auf, denn es war damit zu rechnen, daß sie bald wieder aufbrechen mußten.
Anschließend tastete sie seine Knochen ab. Er schien sich beim Fall nichts gebrochen zu haben, und die lange Bewußtlosigkeit rührte wahrscheinlich von den Anstrengungen der letzten Tage und vom schweren Blutverlust her. Wenn er wenigstens eine Weile ruhen konnte, wuchs das Plastafleisch fest an; sie versuchte daher nicht, ihn aus der Ohnmacht zurückzuholen.
In diesem
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