Die Eismumie
kleinen Aktenschrank in der Ecke des Zimmers und hörte gebannt zu, während Grove die Unterhaltung führte und dabei um den Tisch pirschte wie ein ruheloses Raubtier, das immer engere Kreise um seine Beute zieht.
Eine Frauenstimme zischelte aus dem Lautsprecher: «Darf ich vielleicht erfahren, warum Sie mir all diese Fragen stellen? Worum geht es überhaupt?»
«Sie haben vor gut einem Jahr eine mumifizierte Leiche auf dem Mount Cairn ent…»
«Oh Gott», schnitt die Frau Grove das Wort ab.
«Entschuldigung?»
«Du lieber Gott. Wie oft muss ich das noch über mich ergehen lassen?»
«Es tut mir Leid, Ma’am, aber wir sammeln nur Informationen.»
«Es gibt keine Informationen mehr zu sammeln.»
«Wie bitte?»
«Ich habe sämtliche Fragen beantwortet, die diesem schikanösen kleinen Detective eingefallen sind – wie hieß er noch gleich? – Pinkham?»
«Pinsky?», bot Grove an.
«Genau. Jesus Christus, ich musste mich bestimmt ein halbes Dutzend Mal mit dem alten Juden unterhalten.»
Grove und Zorn wechselten einen kurzen Blick. «Ich möchte mich dafür entschuldigen, Mrs. Ackerman, wenn Ihnen manches übertrieben oder überflüssig vorkommt.»
«Um Gottes willen, nennen Sie mich doch Helen.»
«Gern, Helen.»
«Warum quälen Sie mich noch immer mit dieser Sache?»
Grove wog seine Worte ab. «Nun, um die Wahrheit zu sagen: An jenem Tag ist meinen Kollegen vielleicht etwas entgangen, das uns bei einem anderen Fall sehr hilfreich sein könnte.»
«Diese dämliche Scheißmumie wird langsam zur Heimsuchung.»
«Wir möchten diese Angelegenheit auch gerne so schnell wie möglich hinter uns bringen», versuchte Grove die Frau zu besänftigen.
«Was kann ich Ihnen noch Neues berichten? Soll ich zum tausendsten Mal erzählen, welche Kleidung ich an jenem Tag trug, was ich zum Frühstück gegessen hatte und aus welcher Richtung der Wind wehte?»
«Ich weiß, dass Sie diese Erklärung wahrscheinlich schon oft gehört haben, aber jede Einzelheit, wie unscheinbar sie auch sein mag, könnte uns behilflich sein.»
«Na los, stellen Sie Ihre Fragen, damit wir es hinter uns haben. Ich muss in einer Stunde zu einem Termin.»
«Wir beeilen uns, das verspreche ich.» Grove blickte auf seine Notizen. «Also, laut den Aufzeichnungen von Detective Pinsky waren Sie und Ihr Mann Richard auf einer Bergwanderung, als Sie auf den Eismann stießen?»
«Ja, wir waren früh aufgebrochen. Der Wetterbericht hatte für den Nachmittag einen Wetterumschwung angekündigt, und wir wollten es noch vorher bis zum Gipfel und wieder hinunter ins Tal schaffen. Wir waren ungefähr auf halber Strecke, als wir diesen ekelhaften Haufen gefrorener Knochen fanden.»
Grove machte sich eine Notiz und blickte dann wieder auf den Lautsprecher. «Darf ich fragen, wer die Mumie zuerst gesehen hat?»
«Was?»
«Die Mumie. Ich hätte gern gewusst, wer sie zuerst gesehen hat an jenem Morgen, Sie oder Ihr Mann?»
«Wie ich dem Detective schon sagte, ich glaube, Richard hat sie zuerst bemerkt. Ich sah, dass er im Dickicht an irgendetwas herumzog, zunächst dachte ich, es wäre ein alter Mantel oder so etwas.»
«Ihr Ehemann sah also die Mumie als Erster?»
«Das habe ich Ihnen doch gerade gesagt? Ja, zum Teufel, Richard hat das Ding zuerst gesehen.»
«Wäre es möglich, heute auch mit Mr. Ackerman zu sprechen?»
Helen Ackerman schien kurz zu überlegen. «Ist das Ihr Ernst? Wollen Sie mich auf den Arm nehmen?»
«Ist das vielleicht ein Problem?»
Der Lautsprecher spuckte ein herzloses Lachen aus. «Ob das ein Problem ist, fragen Sie. Nun… ich glaube schon. Es wäre tatsächlich ein wenig schwierig, Richard heute ans Telefon zu bekommen.»
Groves Geduld mit dieser Frau nahm langsam ab. Er bat sie um eine Erklärung.
«Wenn Sie beiden Clowns Ihre Hausaufgaben gemacht hätten, würden Sie wissen, dass mein Ehemann vor ungefähr einem Jahr unser Haus verlassen hat, um Zigaretten zu holen, und seither nicht wieder aufgetaucht ist», fauchte sie mit angespannter Stimme.
Stille im Raum.
Groves Herz schlug mit einem Mal schneller.
Maura saß allein an einem Ecktisch im überfüllten Cafe des Marriott Courtyard und stocherte in den Resten eines durchweichten Sandwichs. Gedankenverloren ging sie ihre Aufzeichnungen für einen Artikel durch, von dem sie noch nicht wusste, ob sie ihn je veröffentlichen würde. Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte sie plötzlich, wie eine vertraute Gestalt das Lokal betrat. In seinem schicken Burberry-Mantel
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