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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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höchstens für eine Sekunde.»
    Er führte sie zu der Kammer, in der die Mumie aufbewahrt wurde. Gespannt blickten sie durch die Thermopenscheiben auf die dunkle Gestalt, die auf dem Tisch lag. Jahrhunderte im Eis hatten das Gesicht zu einer Fratze mit verkümmerten Lippen verzerrt. Okuda betrachtete Keanu und hatte beinahe den Eindruck, als lächele er zur Zimmerdecke hinauf. Und noch ein anderer Gedanke ging Okuda durch den Kopf: Er sieht verändert aus.
    «Also gut, die Peepshow ist vorbei, komm jetzt», flüsterte Okuda und zupfte sanft am Arm seiner Freundin.
    «Warte noch eine Sekunde», bat Wendy.
    «Nein, komm jetzt.»
    Okuda zerrte sie aus dem Raum und setzte dann eilig den Weg über die leeren Korridore fort. Dabei blickte er mehrmals über die Schulter zurück, um sich zu vergewissern, dass sie nicht von den Wachleuten entdeckt wurden.
    «Jetzt ist mir wohler», sagte Okuda erleichtert, als er die Tür des kleinen Zimmers hinter sich schloss. Die Einrichtung bestand hauptsächlich aus Plastiksesseln und laminierten Schränken. Es roch nach kaltem Rauch und Kaffee. Sie nahmen Papierbecher, schenkten sich Tequila ein und tauschten einige lange Küsse. Ein paar Minuten später schlenderte Wendy zum Großbildfernseher und stöberte in den DVD-Stapeln. «Oh, mein Gott», rief sie plötzlich. Sie hielt einen Film in der Hand. «Was für ein passender Titel für diesen unsäglichen Mistladen hier!»
    Okuda lag entspannt auf dem einzigen Sofa im Raum. «Oh nein, tu mir das nicht an», murmelte er.
    «Den müssen wir sehen», kicherte sie und schob die Silberscheibe ins Abspielgerät über dem Fernseher.
    Ein paar Sekunden lang blieb alles schwarz, dann flackerte der unverkennbare Vorspann eines alten Schwarzweiß-Klassikers mit Boris Karloff über den Bildschirm. Eine Pyramide aus Pappe rotierte in den Vordergrund, dann tropften die Großbuchstaben des Unheil verkündenden Titels ins Bild: DIE MUMIE.
    «Nicht schon wieder», stöhnte Okuda.
    «Still!» Wendy legte sich neben Okuda auf das Sofa und schmiegte sich an ihn. Er konnte nur mit dem Kopf schütteln, als die vertraute Tschaikowski-Musik des steinalten Soundtracks erklang.
    Sie tranken Tequila und sahen sich die alte Geschichte über eine Gruppe von Archäologen des Britischen Museums an, die eine ägyptische Mumie namens Imhotep ausgraben. Meister des Okkulten warnen die Wissenschaftler, doch diese fordern den Fluch heraus und brechen das Siegel der berüchtigten «Schriftrolle des Toth» auf. Dadurch rufen sie versehentlich die sterblichen Überreste wieder zum Leben. Das Monster, von Karloff mit Inbrunst gespielt, trottet in verschmutzten Lumpen durch den Film und erschreckt mit seinen Unheil verkündenden Blicken jeden zu Tode, der ihm in die Quere kommt.
    Okuda hatte den Film im Laufe der Jahre ungefähr ein Dutzend Mal gesehen – in Harvard, bei der Arbeit im Labor, auf diversen Partys. Doch als dieses Mal die erste große Schockszene über den Bildschirm flimmerte, wurde Michael Okuda ganz still und schaute gebannt zu.
    Vielleicht lag es an dem Heroin, an der Müdigkeit oder an beidem, aber als Okuda sah, wie Boris Karloff zum ersten Mal die Augen öffnete und langsam die mit Stofffetzen bandagierten Arme in die Höhe hob, da blitzten plötzlich die Tätowierungen des Eismannes vor seinem inneren Auge auf.
    Eine Mumie, die nach unten greift und dann sanft, fast zärtlich mit einer erstarrten Fingerspitze über eine uralte Schriftrolle streicht … ein aberwitziges Lachen ertönt irgendwo aus dem Off.
    «Michael? Mikey –? Stimmt was nicht?» Wendys besorgte Stimme kam aus weiter Ferne. Okuda riss sich aus einem tranceartigen Zustand und starrte seine Freundin an. «Nein… es geht mir gut. Ich muss mir nur ein paar Notizen machen.»
    Das Gespräch, das in Groves Erinnerung den ersten echten Durchbruch im Sun-City-Fall bedeuten sollte, fand am folgenden Morgen im kleinen Konferenzzimmer im Untergeschoss des Schliemann-Gebäudes statt. Der Raum, eine verstaubte Höhle voll mit vergessenem Archivmaterial, wirkte wie das Endlager für den gesamten Papiermüll, der sich in Jahrzehnten angehäuft hatte. Auf der einen Seite des Raums stapelten sich Pappkartons bis an die Decke. Eine Unmenge von Dokumenten, die von Gummibändern zusammengehalten wurden, bedeckte die Kunststoffplatte des ovalen Tisches, der mitten im Raum stand. Auf den Papieren stand ein kleiner Lautsprecher, der mit dem Telefon verbunden war.
    Während des Gesprächs saß Zorn auf einem

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