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Die Eismumie

Die Eismumie

Titel: Die Eismumie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jay Bonansinga
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schmutzigem Orange und olivgrüne Vorhänge – und boten auch dieselben billigen, unerheblichen und austauschbaren Extras: dieselben Styroporbecher, dieselben angerosteten Waschbecken und faden kleinen Seifenstücke in Papiermanschetten sowie den sauren Gummigeruch auf den Toiletten.
    Der durchdringende Gestank des Todes setzte überdies sein Ausrufezeichen hinter all diese menschenunwürdige Gleichheit.
    Grove sah über die Schulter, nicht zu lange, nur ganz rasch, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie sich die Zuschauermenge verteilte. In diesem kurzen Moment registrierte Groves geübter Blick erstaunlich viel. Er sah die hartnäckigsten Zuschauer ganz vorn, in mehr als Häuserblockbreite dicht gedrängt bis an den Rand der Absperrung, die meisten unter Regenschirmen. Hinter ihnen weitere Gaffer, die ihre Hälse reckten, um besser sehen zu können. Sie standen weit über die Straße hinaus, die im Laufe des Morgens abgesperrt worden war. Nach ihren demographischen Merkmalen erschienen die Neugierigen Grove recht einheitlich: zumeist Männer, zumeist Fabrikarbeiter, zumeist harmlos. Jäger, männliche Teenager aus der Gegend, Händler aus der Straße. Grove sah, dass einige Videokameras nass wurden und Frauen gegen den kalten Wind nach ihren Schals griffen.
    «Entschuldigung… sind Sie der Profiler?»
    Die Stimme erklang hinter Grove. Er wirbelte herum und sah, dass sich einer der Agents von der örtlichen Außenstelle näherte, ein wuchtiger Kerl mit breiten Schultern in einem durchnässten Trenchcoat. Das vierkantige Gesicht des Mannes war tropfnass.
    Flannery war ihm dicht auf den Fersen. «Sir!», bellte sie. «Warten Sie einen Moment!»
    «Okay, kein Problem», sagte Grove, nickte Flannery zu und streckte seine freie Hand aus. Mit der anderen hielt er den Regenschirm fest, der sich auch deswegen als nützlich erwies, weil Grove dahinter sein Gesicht vor den Zuschauern verbergen konnte. «Special Agent Ulysses Grove und der Herr da drüben ist Special Agent Zorn.» Grove nickte so beiläufig wie möglich in Richtung des Cowboyhuts, der in zehn Meter Entfernung unter einem mickrigen Regenschirm auf und ab schwankte.
    Ein nasser Händedruck.
    Und dann ein schneller Wortwechsel, wobei sie ihre Stimmen gerade so weit hoben, dass sie einander trotz des Regens und des Lärms verstehen konnten.
    «Ich bin Agent Masamore, Außenbüro Portland, der Zirkus hier tut mir Leid. Bin mir nicht sicher, was wir aus dem Szenario sonst noch schließen können. Hat den Anschein, als hätte er langsam sein Pulver verschossen. Haben eine Fahndung in sechs Bundesstaaten laufen. Wir kriegen ihn.»
    Grove nickte. «Ausgezeichnet. Hervorragend.»
    Masamore reckte einen Daumen zum Gebäude. «Sie wollen wahrscheinlich mit dem Leiter des Außenbüros sprechen – »
    «Agent Masamore», unterbrach Grove möglichst beschwichtigend mit unschuldiger Miene. «Lassen Sie mich an dieser Stelle etwas erklären – »
    Eine hochgezogene Augenbraue bei dem Außenagenten. Flannery starrte zu Boden.
    «… wir möchten die Sache nämlich so behutsam wie möglich angehen, wenn das okay ist.» Grove wischte sich einen Tropfen von der Nase. «Vielleicht hier draußen anfangen und uns dann wie in einer Spirale ins Zentrum vorarbeiten.»
    «Gut und schön… aber damit Sie es wissen… das haben wir bereits getan.»
    Grove blieb höflich und freundlich. «Wir werden definitiv in ein paar Minuten mit Ihnen Kriegsrat halten und wahrscheinlich auch einen Großteil Ihrer Aufzeichnungen nutzen… wenn es Ihnen Recht ist.»
    Special Agent Masamore zuckte die Achseln und stellte seinen Mantelkragen auf. Ein wenig irritiert sagte er: «Holen Sie sich ruhig einen Schnupfen – ich jedenfalls verschwinde aus dem Regen.» Der untersetzte Mann drehte sich um und stapfte durch den matschigen Kies zum Motelbüro.
    Grove beobachtete den Agenten, der durch die weit offene Bürotür verschwand. Wieder flackerte ein Blitz über den Himmel und verbreitete gleißendes Licht. Der Regen prasselte unerbittlich auf Groves Schirm. Plötzlich spürte der Agent etwas in seinem Nacken. Jemand beobachtet mich. Dies unerwartete Gefühl stieg aus Groves Unterbewusstsein auf wie eine Luftblase, doch er wies es augenblicklich von sich. Nervöse Anspannung, altes Haus, das ist alles, dachte er. Es gibt jede Menge Leute, die dich in diesem Moment beobachten. Flannery beobachtet dich, Zorn beobachtet dich ebenfalls. Grove drehte sich um und warf verstohlen einen weiteren Blick auf die

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