Die Eisprinzessin schläft
Schwedisch. Das R rollte weich, und Erica registrierte, daß sie die französische Version von Henrik, also Henri, benutzte.
»Alex und du, ihr habt euch in Paris getroffen?«
»Ja, wir haben zusammen Kunstgeschichte studiert. Haben uns schon am ersten Tag gefunden. Sie sah verloren aus, und ich fühlte mich verloren. Der Rest ist Geschichte, wie man zu sagen pflegt.«
»Wie lange habt ihr euch gekannt?«
»Mal sehen, Henri und Alex haben im Herbst ihren fünfzehnten Hochzeitstag gefeiert, also sind es … siebzehn Jahre. Fünfzehn davon haben wir zusammen diese Galerie geführt.«
Sie verstummte und steckte sich zu Ericas großer Verwunderung eine Zigarette an. Aus irgendeinem Grund hatte Erica sich nicht vorstellen können, daß Francine rauchte. Deren Hand zitterte leicht, als sie die Zigarette anzündete, und sie nahm einen tiefen Lungenzug, ohne den Blick von Erica zu lösen.
»Hast du dich nicht gefragt, wo sie geblieben ist? Vermutlich lag sie dort ja schon eine Woche, bevor wir sie gefunden haben.«
Erica fiel auf, daß sie nicht daran gedacht hatte, Henrik diese Frage zu stellen.
»Ich weiß, daß es merkwürdig klingt, aber nein, das habe ich nicht. Alex .«, Francine zögerte. »Alex hat immer ein bißchen gemacht, was sie wollte. Das konnte ungeheuer frustrierend sein, aber ich nehme an, daß ich mich mit der Zeit daran gewöhnt hatte. Es war nicht das erste Mal, daß sie eine Weile wegblieb, um dann einfach wieder aufzutauchen, als sei nichts geschehen. Sie hat mich außerdem mehr als gut dafür entschädigt, indem sie die Galerie in der Zeit meiner Mutterschaftsurlaube ganz allein geführt hat. Weißt du, irgendwie glaube ich wohl immer noch, daß es auch diesmal so sein wird. Daß sie einfach zur Tür hereinkommt. Aber das wird ja nicht passieren.«
Eine Träne drohte aus dem Augenwinkel zu quellen.
»Nein.« Erica blickte in die Kaffeetasse und ließ Francine Zeit, sich diskret die Augen zu wischen. »Wie hat Henrik reagiert, als Alex einfach verschwand?«
»Du hast ihn doch getroffen. So wie er es sah, konnte Alex keine Fehler machen. Henri hat die letzten fünfzehn Jahre damit verbracht, sie zu vergöttern. Der Ärmste.«
»Warum der Ärmste?«
»Alex hat ihn nicht geliebt. Früher oder später hätte er es einsehen müssen.«
Die erste Zigarette war ausgedrückt, und sie zündete eine zweite an.
»Ihr müßt euch nach so vielen Jahren in- und auswendig gekannt haben.«
»Ich glaube nicht, daß irgend jemand Alex kannte. Obwohl ich sie wohl besser gekannt habe als Henri. Er hat sich immer geweigert, die rosarote Brille abzunehmen.«
»Henrik hat bei unserem Gespräch angedeutet, daß er während ihrer ganzen Ehe das Gefühl hatte, Alex würde etwas vor ihm verbergen. Weißt du, ob das der Wahrheit entspricht und was das in dem Fall sein könnte?«
»Wirklich ungewöhnlich hellsichtig von ihm. Ich habe Henri vielleicht unterschätzt.« Sie hob eine ihrer wohlgeformten Brauen. »Auf die erste Frage antworte ich mit Ja, auch ich hatte immer das Gefühl, daß sie etwas mit sich herumschleppt. Auf die andere Frage muß ich leider mit Nein antworten, ich habe nicht die geringste Ahnung, um was es sich handeln könnte. Trotz unserer langen Freundschaft gab es einen Punkt, an dem Alex immer zu erkennen gab, bis hierher und nicht weiter. Ich habe es akzeptiert, Henri hat es nicht getan. Das hätte ihn früher oder später kaputtgemacht. Außerdem weiß ich, daß es eher früher als später passiert wäre.«
»Wieso?«
Francine zögerte. »Man wird Alex obduzieren, oder?«
Die Frage überraschte Erica. »Ja, das tut man bei Selbstmord immer. Warum interessiert dich das?«
»Dann weiß ich, daß die Sache, die ich dir erzählen will, auf jeden Fall bekannt wird. Ich habe dann wenigstens nicht so ein schlechtes Gewissen.«
Sie drückte die Kippe sorgfältig aus. Erica hielt vor Spannung den Atem an, aber Francine ließ sich Zeit und beschäftigte sich mit ihrer dritten Zigarette. Ihre Finger hatten nicht die für Raucher typische gelbe Verfärbung, also vermutete Erica, daß sie normalerweise nicht ununterbrochen qualmte.
»Du weißt bestimmt, daß Alex in den letzten sechs, sieben Monaten bedeutend häufiger in Fjällbacka gewesen ist?«
»Ja, der Dschungeltelegraf funktioniert in kleinen Orten sehr gut. Dem lokalen Klatsch nach zu urteilen, war sie mehr oder weniger jedes Wochenende dort. Allein.«
»Allein entspricht nicht ganz den Tatsachen.«
Francine zögerte erneut, und Erica
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