Die Eisprinzessin schläft
hatten, daß Karl-Eriks Herzinfarkt zwar ernst gewesen, die kritischste Phase aber jetzt vorüber sei.
Dieser Tag war einer der erschütterndsten in Patriks Leben. Er hatte in seinen Jahren bei der Polizei so manches Elend gesehen, aber nie hatte er von einer so herzzerreißenden Tragödie gehört wie jener, die Karl-Erik am Nachmittag erzählt hatte.
Obwohl Patrik die Wahrheit erkannte, wenn sie vor ihm ausgebreitet wurde, fiel es ihm dennoch schwer, das Gehörte zu akzeptieren. Wie konnte jemand sein Leben weiterleben, wenn er so etwas wie Alex durchgemacht hatte? Nicht nur, daß sie mißbraucht und ihrer Kindheit beraubt worden war, sie mußte außerdem den Rest ihres Lebens mit der ständigen Erinnerung an das Geschehene verbringen. Wie sehr er sich auch bemühte, so konnte er das Verhalten ihrer Eltern doch nicht verstehen. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß er den Täter davonkommen lassen würde, wenn sein Kind mißbraucht worden wäre, und noch weniger begriff er, wie es möglich war, daß man sich für die Vertuschung der Sache entschied. Wie konnte der äußere Schein wichtiger sein als Leben und Gesundheit des eigenen Kindes? Das zu verstehen fiel ihm ungeheuer schwer.
Er saß mit geschlossenen Augen und legte den Kopf an die Stütze. Es hatte angefangen zu dämmern, und er mußte wieder in Richtung Heimat fahren, aber er fühlte sich schwach und willenlos. Nicht einmal der Gedanke daran, daß Erica auf ihn wartete, konnte ihn dazu bringen, den Motor zu starten und loszufahren. Seine eigentlich positive Einstellung zum Leben war in ihren Grundfesten erschüttert worden, und zum erstenmal kamen ihm Zweifel, ob das Gute im Menschen wirklich das Schlechte überwog.
In anderer Hinsicht fühlte er sich auch ein wenig schuldig, weil die entsetzliche Geschichte ihn zwar tief berührt, er als Kriminalbeamter aber zugleich Zufriedenheit verspürt hatte, als sich endlich eins zum anderen fügte. So viele Fragezeichen waren an diesem Nachmittag gelöscht worden. Trotzdem empfand er jetzt eine größere Frustration als zuvor. Denn obwohl er für so vieles eine Erklärung erhalten hatte, tappte er noch immer im dunkeln, wenn es um die Person oder die Personen ging, die Alex und Anders ermordet hatten. Vielleicht lag das Motiv in der Vergangenheit verborgen, vielleicht aber hatte es auch nichts mit jener zu tun, obwohl ihm das unwahrscheinlich vorkam. Trotz allem war diese Sache hier der einzige deutliche Zusammenhang, den er zwischen Anders und Alex gefunden hatte.
Aber weshalb sollte jemand sie wegen eines Mißbrauchs ermorden wollen, der fünfundzwanzig Jahre zurücklag? Und weshalb dann erst jetzt? Was war es, das etwas in Bewegung gebracht hatte, was so viele Jahre still geruht hatte und was nun, im Abstand von nur wenigen Wochen, gleich zu zwei Morden geführt hatte? Was ihn am meisten frustrierte, war, daß er keine Ahnung hatte, in welcher Richtung er weitersuchen sollte.
Der Nachmittag hatte einen großen Durchbruch bei den Ermittlungen gebracht, aber zugleich steckten sie jetzt in einer Sackgasse fest. Patrik ging im Kopf all das durch, was er am Tag gemacht und gehört hatte, und er kam darauf, daß ein höchst konkreter Anhaltspunkt bei ihm im Auto lag. Etwas, das er durch die Nachwirkungen des Besuches bei Carlgrens und den Tumult aufgrund Karl-Eriks dramatischer Erkrankung vergessen hatte. Jetzt spürte er wieder denselben Enthusiasmus wie am Vormittag, und ihm fiel ein, daß er außerdem eine einzigartige Möglichkeit hatte, die Sache näher zu untersuchen. Das einzige, was er brauchte, war ein bißchen Glück.
Er stellte sein Handy an, ignorierte den Bescheid, daß er drei Nachrichten in der Mailbox hatte, und rief die Auskunft an, um die Nummer des Krankenhauses zu bekommen. Man gab ihm die Nummer der Zentrale, und er bat darum, dorthin verbunden zu werden.
»Sahlgrensches Krankenhaus.«
»Ja, hallo, mein Name ist Patrik Hedström. Ich möchte gern wissen, ob bei Ihnen ein Robert Ek in der gerichtsmedizinischen Abteilung arbeitet.«
»Einen Augenblick, ich werde nachsehen.«
Patrik hielt die Luft an. Robert war ein alter Studienkollege von der Polizeihochschule, der später eine Weiterbildung zum Gerichtstechniker gemacht hatte. Sie waren während der Studienzeit sehr eng befreundet gewesen, hatten aber später den Kontakt verloren. Patrik glaubte gehört zu haben, daß er jetzt im Sahlgrenschen Krankenhaus arbeitete, und drückte sich selbst die Daumen, daß dem
Weitere Kostenlose Bücher